Tiefschlag
Sams Kopf. Der Mund war eine gähnende Höhle. Stalaktiten, die von dem gewölbten Dach der Höhle herabhingen. Und es war ein Tunnel, der in das Innere dieses Monsters führte, das im Begriff stand, Sam Turner das Leben aus dem Leib zu schlagen. Eine Kehle, ein Schlund, ein Allerheiligstes. Und sofort wurde der Mund zum Tod selbst. Eine Schwärze, aus der es keine Rückkehr gab.
Eine Bewegung über sich erregte Sams Aufmerksamkeit, und er begriff, daß die riesigen Fäuste wieder auf dem Weg nach unten waren. In einer Sekunde, weniger, in einem Sekundenbruchteil würden sie ihm das Leben herausschlagen. Er stabilisierte die Glock, richtete sie auf den Krater, das schwarze Loch.
Die Glock 17 schießt nur dann, wenn der Abzug auf die richtige Weise betätigt wird. Sam konzentrierte sich, drückte den Abzug langsam. Er hörte den Knall und beobachtete den schwachen Rückschlag. Gleichzeitig sah er im hinteren Teil der klaffenden Leere ein Loch auftauchen. Er schaute in die tiefsten Tiefen dieses Mundes, und unmittelbar nach dem Rückschlag sah er einen Moment lang den Nachthimmel. Die 9mm-Kugel öffnete ein Loch im Nacken des Monsters, und einen flüchtigen Moment schien der Himmel dort hindurch.
Dann krachte der massige Körper auf Sam herab, und er spürte seinen Mund in Blut schwimmen.
Er mußte eine Weile bewußtlos gewesen sein. Wenn auch nur kurz. Ein paar Sekunden, vielleicht ein paar Minuten. Als er das Bewußtsein wiedererlangte, gelang es Sam, den Körper nach links wegzuwuchten und sich unter ihm herauszuwinden. Er stand unsicher auf, trat ein paar Schritte zurück, fort vom Fluß. Der gewaltige Körper des Mannes, den er erschossen hatte, lag schlaff und bewegungslos auf dem Weg. Sam steckte die Glock ins Holster und wankte in Richtung auf Maries Haus.
Während er ging, empfand er nichts und dachte nichts. Von Zeit zu Zeit füllte sich sein Mund mit Blut, das er aufs Gras ausspuckte. In der Ferne, aus der Stadt, hörte er Gelächter. Nachtschwärmer, die die Nacht noch nicht beenden und sich dem Morgen nicht stellen wollten. Die knallhart gnadenlose Stadt.
«O mein Gott.» Marie ergriff seinen Arm und zog ihn ins Haus. Sie schloß die Tür und führte ihn direkt ins Wohnzimmer. Es schien ihm kleiner geworden zu sein, seit er vor weniger als einer Stunde gegangen war. Es duftete immer noch nach frischem Brot, nach Lachs. Etwas an Marie war anders, er sah sie an und begriff, daß sie schon im Bett gewesen sein mußte. Sie trug nicht mehr das schwarze Kleid, sondern ein T-Shirt, ein langes T-Shirt bis zu den Knien.
Behutsam hielt sie sein Gesicht zwischen beiden Händen, drehte es sanft von einer Seite zur anderen. Sie bemerkte seinen Blick und schüttelte den Kopf. «Sieht nicht gut aus. Du solltest ins Krankenhaus gehen.»
«Nein», sagte er und merkte, daß sein Mund wieder voller Blut war. Er konnte nicht sprechen. Marie gab ihm eine Schüssel, in die er ausspuckte. Er zog einen Kuli aus der Tasche und schaute sich nach Papier um. Marie gab ihm einen Block. «Ich habe jemanden erschossen», schrieb er.
Er spürte, wie sie sich versteifte, aber die Besorgnis blieb auf ihrem Gesicht. Sie veränderte seine Haltung, so daß sein Kopf nun leicht nach vorn geneigt war. «Ich glaube, deine Nase ist gebrochen», sagte sie. «Und dein rechtes Auge ist völlig zugeschwollen. Ich seh’s nicht mal mehr.»
Er hob kapitulierend die Arme. «Kaffee», schrieb er auf den Block.
Nachdem sie ihm eine Tasse gebracht hatte, trank er den Kaffee. Im Verlauf der nächsten Stunde erzählte er ihr, was passiert war. Zuerst mit Hilfe von Block und Kuli, aber nachdem sie sein Gesicht verbunden und die Blutung aufgehört hatte, brachte er auch kurze Sätze zustande. Allerdings setzte in seinem Kopf ein so heftiges Hämmern ein, daß es seinen Gleichgewichtssinn beeinträchtigte. Als er durch die Badezimmertür ging, wäre er beinahe ins Bad gestürzt. Er klammerte sich an der Wand fest, bis Marie kam und ihn stützte.
Sie versorgte die Gesichtsverletzungen mit Arnikasalbe und gab ihm etwas gegen die fürchterlichen Kopfschmerzen. Drei Tabletten auf die Handfläche. Sie wollte nicht sagen, was es war. Er sah die Pillen an; eine Faustvoll Dullers. Sie betonte immer wieder, daß sie Krankenschwester sei. Sie wisse genau, was sie tue. Wenn er schon nicht ins Krankenhaus wollte, müsse er ihr eben vertrauen.
«Begleitest du mich?» fragte er. «Zum Fluß. Und dann vielleicht aufs Polizeirevier.»
Sie nickte und ging sich
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