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Tiefschlag

Tiefschlag

Titel: Tiefschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Baker
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hatten.
    «Ich seh sie mir in der Glotze an», sagte Tone. «Kann’s mir nicht leisten, nach Leeds zu fahren. Hier hing mal ein Typ aus Leeds rum, aber der ist abgemurkst worden.» Er trat einen Schritt zurück und beobachtete die Reaktion auf Geordies Gesicht. Er war nicht enttäuscht.
    «Abgemurkst?» fragte Geordie. «Wann?»
    «Letzte Woche. Die haben ihn aus dem Fluß gefischt.»
    «Andrew Bridge?» fragte Geordie.
    «Ja, Andy, genau der. Er hatte immer gutes Zeug, und jede Menge. Kanntest du ihn?»
    Geordie schüttelte den Kopf. «Nein. Ich hab in der Zeitung davon gelesen. Als die seine Leiche rausgefischt haben.» Geordie hätte jetzt gern einen Block rausgeholt und alles genau mitgeschrieben, was Tone über Andrew Bridge erzählte. Aber das wäre uncool gewesen. Er würde sich alles merken müssen, es im Kopf behalten müssen, bis er es später aufschreiben konnte. Hoffentlich vergaß er nichts.
     
    Sie hörten, wie sich ein Schlüssel in einem Schloß drehte, wie die schwere Tür des Fitneßcenters geöffnet wurde. Geordie schob sich zum Ende der Gasse, um mal zu sehen, was da los war, aber Tone hielt ihn zurück. «Die wollen nicht, daß wir hier sind», flüsterte er. «Warte ’ne Sekunde.»
    Geordie wartete ’ne Sekunde, sogar zwei Sekunden, nachdem die Tür zugeschlagen worden war. Dann linste er um die Ecke und sah einen ausgesprochen muskulösen blonden Mann schwerfällig in die andere Richtung verschwinden. «Is’n das?» fragte er.
    «Das ist Ben», sagte Tone. «Er ist der Chef. Der Obermotz.»
    «Danke. Wir sehn uns», sagte Geordie. Und er ließ den Burschen zurück und folgte dem Bodybuilder.
    Allerdings achtete er sorgfältig auf einen angemessenen Abstand zwischen sich und dem Kerl. Er wollte ihm folgen, um herauszufinden, wohin der Kerl ging. Und warum er es so eilig hatte. Er wollte auf keinen Fall so nahe kommen, daß ihn diese riesigen Pranken packen konnten.
    Sei wachsam, würde Sam sagen. Folge dem Kerl nicht einfach, sondern sehe ihn richtig. Er wird auf alle möglichen Arten mit dir kommunizieren. Er wird dir sagen, wer er ist. Was er vorhat. Geordie beobachtete den Rücken des Kerls. Er war nicht derjenige, der das Büro reif für die Müllkippe gemacht hatte. Er war blond, aber der Typ auf dem Video hatte dunkle Haare gehabt. Selbst wenn er eine Perücke trug, war’s immer noch nicht derselbe Kerl, denn er humpelte nicht. Er war ungefähr vom gleichen Kaliber wie der Typ auf dem Video, aber nicht ganz so furchterregend. Der Typ auf dem Video sah weniger menschlich aus, er war wie ein Filmmonster. Alte Schwarzweißfilme, wie sie in der Glotze gebracht wurden. Boris Karloff, einer von den Typen. Der Glöckner von Notre Dame. Aber der Typ hier, der mit ziemlichem Speed von Acomb Green die Wetherby Road runterdüste, der war nicht so ein Monster. Er hatte mehr oder weniger die gleichen Abmessungen, aber er schien noch alle Tassen im Schrank zu haben, und er hatte ein Gesicht wie ein Schuljunge. Es war das Gesicht, das ihn rettete. Es war komisch, daß ein Mann das Gesicht eines Schuljungen hatte, ein Gesicht, das ihn irgendwie gesund und normal erscheinen ließ. Als könnte er niemandem wirklich richtig weh tun.
    Geordie hatte Dutzende von der Sorte kennengelernt. Leute, die aussahen, als könnten sie keiner Fliege was zuleide tun. Aber nach ihrem Aussehen konnte man da nicht gehen. Als Geordie noch auf der Straße gelebt hatte, als er verwundbar gewesen war, da hatte es Zeiten gegeben, da war jeder gefährlich. Es war, als hätte seine Verwundbarkeit gewaltsame Reaktionen geradezu provoziert. Auf der Straße konnte man nur überleben, wenn man das lernte, und zwar schnell. Am untersten Ende der westlichen Menschlichkeit ging man mit jemandem nach Hause, der gutartig aussah, und verbrachte anschließend den nächsten Morgen damit, die Wunden dieser einen Nacht zu lecken.
    Das Komische war nur, daß Geordie manchmal dachte, es wär’s wert gewesen. Um für eine Nacht von der Straße runterzukommen, um im Warmen und Trocknen zu sein, um anständiges Essen zu kriegen. Man wußte, daß der Typ ein Perverser war, mit hundertprozentiger Sicherheit würde er einen ficken, und mit sechzigprozentiger Sicherheit würde er einen schlagen. Es bestand sogar die Möglichkeit (zu zehn Prozent, fünfzehn?), daß man ermordet wurde. Und das alles wußte man, trotzdem ging man mit ihm. Damals schien es die Sache wert gewesen zu sein, solche Risiken einzugehen, denn man hielt die Straße einfach

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