Tiefsee: Reise zu einem unerforschten Planeten
Sonnenstrahlen durchkommen, die es jedoch in sich haben. Es hat gefühlte 200°Celsius bei einer Luftfeuchtigkeit von 100 Prozent. Der Gedanke daran, dass nur rund 60 Meilen südöstlich der Insel jener 2.542 Kilometer lange Graben liegt, der uns nunmehr bereits seit fast drei Monaten nicht mehr zur Ruhe kommen lässt, gibt uns die Kraft, ein Taxi heranzuwinken. Beim Einsteigen fällt mir der große Aufkleber am Heck des Wagens auf: »Navy Veterans Owned« – nicht einmal die örtlichen Taxis können die militärische Bedeutung dieser Insel verleugnen.
Als wir den Marine Corps Drive entlang fahren, der in grober Selbstüberschätzung auch Guam Highway Nr. 1 genannt wird, faszinieren mich weniger die paar Sonnenstrahlen, die das grünliche Wasser des Pazifiks zum Glitzern bringen, auch nicht die Palmen, die unseren Weg säumen, sondern die Stripschuppen und Peep-Shows, die zwischen etlichen Restaurants und Bars auf ihre Kunden zu warten scheinen. Von den einstigen Inseln der Diebe, wie Magellan diesen Archipel etwas zynisch benannt hatte, ist heute wirklich nichts mehr zu sehen. Wenn unsere braven Jesuiten-Missionare anstatt im 17. Jahrhundert erst jetzt nach Guam gekommen wären, hätten sie diesen Sündenpfuhl wohl nicht nach unser Wiener Freundin benannt, sondern einen weniger ehrenwerten Namen gesucht und mit Sicherheit auch gefunden. Maria Magdalena, vielleicht. Aber gut, was soll man sich schon anderes erwarten von einem der wichtigsten Navy-Stützpunkte im Pazifik? Seeleute brauchen eben ein wenig Ablenkung, da sind nun mal blanke Haut und kaltes Bier das einzig wahre.
In der Ferne fällt mir eine dicht bewaldete Erhebung auf. Das muss der Mount Lamlam sein, die höchste Erhebung dieses Kalkplateaus, unter dem es – wie ich gelesen hatte – jahrein, jahraus brodelt und qualmt. Die heftigsten Vulkanaktivitäten finden hier in der Tiefe dieses momentan so idyllisch und ruhig wirkenden Gewässers statt. Dass sich im dichten Dschungel dieses Berges bis Anfang 1972 ein japanischer Soldat versteckt halten konnte, ohne von den Amerikanern gefunden zu werden, überrascht mich beim Anblick dieses Dickichts nicht weiter. Als man ihn damals endlich entdeckt hatte, stellte sich heraus, dass er immer noch glaubte, der 2. Weltkrieg würde rund um ihn toben. Eine lebende Zeitkapsel, sozusagen. Im uns umgebenden Pazifik gibt es derer noch viel mehr, denke ich still bei mir.
Noch gut ist mir in Erinnerung, was ich über all die prähistorischen Lebewesen erfahren habe, die sich in unseren Weltmeeren tummeln und ebenfalls erst vor Kurzem wiederendeckt wurden. Die haben dort bedeutend länger, als 28 Jahre im Verborgenen gelebt. Der Quastenflosser etwa, der seit über 65 Millionen Jahren als ausgestorben galt, bis ihn Fischer kurz vor Weihnachten 1938 in Südafrika anlandeten. Und erst 1987 konnte dieses Tier auch in seinem Element Wasser beobachtet werden. Der deutsche Meeresbiologe Hans W. Fricke konnte ihn damals durch Zufall in einer Tiefe von 198 Metern in einer Höhle bei den Komoren filmen. Oder die Geschichte mit den Riesenkalmaren, die jahrhundertelang als Seeungeheuer durch die Geschichte geisterten, bis sie schließlich Mitte des 19. Jahrhunderts tatsächlich als lebendes Fossil der Tiefsee bestätigt werden konnten. Von unserem Besuch im Naturhistorischen Museum in Wien waren mir auch besonders noch die Nautiliden in Erinnerung. Jene als Perlboot bezeichneten Kopffüßer, die Cousteau in seinen Filmen auch immer wieder im Flachwasser filmen konnte, wohin sie aus ihrem Lebensraum der Tiefsee in dunkler Nacht immer wieder hochkommen um zu jagen. Knapp 500 Millionen Jahre haben sich diese Tiere evolutionär entwickelt, ohne dass wir Menschen etwas davon mitbekommen haben. Oder die Schlangenhaie, die seit Jahrmillionen in den Gewässern unseres Planeten leben und die halb Aal, halb Hai sind. Obwohl man fast nichts über sie weiß, keine Ahnung hat, wie viele dieser Tiere auf unserem Planeten leben, gelten sie für die Vertreter der International Union for Conservation of Nature ( IUCN ) als nicht bedroht. Fischfang und Beifang hin oder her.
Der Mensch, dieses zur Unterordnung der Trockennasenaffen gehörende Tier, ist wirklich ein seltsamer Geselle. Er wandelt gerade einmal seit 200.000 Jahren auf diesem Planeten, und bezeichnet sich selbst als »Krone der Schöpfung«. Er weiß so wenig von seinem Planeten, den er systematisch zu Grunde richtet, und fühlt sich doch im Recht. Doch wie schrieb schon Shakespeare in
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