Tiefsee: Reise zu einem unerforschten Planeten
seinem Drama Hamlet, in dem sich auch ein König seine Krone selbst aufsetzt, die ihm eigentlich gar nicht zusteht, so schön? »Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf der Erde, als eure Schulweisheit sich träumt.«
Was wir in den vergangenen drei Monaten in Erfahrung bringen konnten, hat uns wirklich betroffen gemacht. Das Tüpfelchen auf dem berühmten »i« war dabei die Nachricht, die uns vom Marine Stewardship Council erreicht hat. Diese Organisation zertifiziert weltweit Fische mit ihrem Gütesiegel » MSC «, um zu zeigen, dass dieser oder jener Fisch bedenkenlos gegessen werden kann, da es genug davon gibt. Vor Kurzem wurde der Dornhai von ihnen zum Abschuss freigegeben und als unbedenklich konsumierbar eingestuft. Nun ist es aber so, dass gerade dieses Tier von der IUCN als »akut vom Aussterben bedroht« angesehen wird. Hm… wem soll man nun glauben? Mich wundert mittlerweile nichts mehr.
Am rechten Fahrbahnrand lenkt ein Lokal meine Gedanken wieder auf unsere noch bevorstehende Mission, Näheres über den Marianengraben und eventuell auch über den Verbleib der USS Indianapolis in Erfahrung zu bringen. Der groß über der Tür prangende Schriftzug »Marianas Trench« wird von der Karikatur eines Anglerfisches gefressen. Wenn das mal keine Bar ist, um die Recherchen auf Guam zu beginnen. Marcus und ich tauschen einen Blick aus, nicken uns zu und bitten den Fahrer zu halten. Ob dieser auch ein Navy Veteran ist oder nicht, konnten wir während der Fahrt übrigens nicht in Erfahrung bringen. Es hat uns auch nicht wirklich interessiert.
Marianas Trench Bar, Guam, Pazifik
Montag, 20.43 Uhr
Beim Betreten der Bar bleibt uns schon wieder der Atem weg. Diesmal nicht wegen der schwülen Luft – diese wird hier auf gefühlte 10°Celsius abgekühlt – sondern wegen des Anblicks: Mindestens hundert weiße, dunkelblaue und beige Uniformen, ab und an durchbrochen von hellblau-beigen Farbkombinationen, bevölkern die festen Holztische, die auf abgewetzten Dielen im riesigen Raum verteilt sind. Wären die Kellnerinnen hinter dem langen, hölzernen Bartresen nicht eindeutig philippinischer Abstammung gewesen, hätte man glauben können, man wäre mitten im Spielfilm Top Gun gelandet. »So stell ich mir eine Navy-Bar vor!« Marcus strahlt mich begeistert an.
Nachdem wir – wieder einmal – auf zwei der wenigen freien Barhocker Platz genommen haben, lassen wir die Szenerie auf uns wirken. Ob schon Jacques Picard mit seinen damaligen Schiffskameraden des Bathyskaph Trieste, Don Walsh und Andy Rechnitzer, hier einige gepflegte Bierchen geleert hatte, bevor sie an jenem 23. Januar 1960 ihre Tauchfahrt zum tiefsten Punkt der Weltmeere angetreten waren? Naja, zumindest Picard und Walsh, Rechnitzer hatte ja nicht so viel Glück, wie wir herausgefunden hatten. Die Verantwortlichen der Marine wollten damals ja eigentlich nicht den Sohn des Erfinders des Tieftauchbootes jenen legendären ersten Abstieg zum Witjas-Tief durchführen lassen, sondern lieber nur ihre beiden Marines. Picard muss damals einen Riesenaufstand gemacht haben, pochte auf seinen Vertrag, der ihm zusicherte, bei allen »Tauchgängen im Grenzbereich« selbst das Tauchboot zu führen, bis der wackere Schweizer schließlich den Kommandanten der USS Wandank II überzeugen konnte. Das muss ein Theater gewesen sein. Ob er sich wohl hier am Vorabend den Mut dazu angetrunken hatte? Wer weiß…
Oder erst vor Kurzem: war etwa gar ein echter Hollywood-Star in diesem Etablissement? Genoss der Oscar-Preisträger und Regisseur von Avatar und Terminator, James Cameron, hier seine letzten Thai-Noodles, bevor er sich allein mit seinem Tauchboot Deepsea Challenger wieder in jenes Tief begab, das nach dem russischen Forschungsschiff Vityaz benannt wurde? Eigentlich witzig, wenn man genauer drüber nachdenkt. Die Vityaz lief ursprünglich 1939 in ihrer Bremerhavener Werft als »Mars« vom Stapel. Bis 1979 hat dieses Schiff fast eine Million Seemeilen zurückgelegt – das sind mehr als 280 Erdumrundungen – und dabei auch noch jene Manganknollen entdeckt, die heute als einer der wichtigsten Rohstoffe der Weltmeere gelten, nach dem Erdöl natürlich.
Neben uns beginnt ein schlanker Mittfünfziger mit schütterem, grauem Haar plötzlich die amerikanische Nationalhymne zu singen. Wir starren ihn entgeistert an. Nachdem wir, so wie der Großteil der anwesenden Soldaten, in den »Star-Spangled Banner« miteingestimmt haben, werden wir von John, wie er sich höflich vorstellt,
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