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Tiefsee: Reise zu einem unerforschten Planeten

Tiefsee: Reise zu einem unerforschten Planeten

Titel: Tiefsee: Reise zu einem unerforschten Planeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Ochsenbauer
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Wissenschaftlern und Fotografen vor mir versucht hatten, ein wenig Licht in die unbekannten Tiefen unserer Weltmeere zu bringen. Marcus musste zwar an Bord bleiben, aber mir war die Ehre zuteilgeworden, mit der ALVIN einen der geplanten Tauchgänge im abgesteckten Sektor der hydrothermalen Quellen zu unternehmen. Dies vor allem auch deswegen, weil unser guter alter John vor lauter Seekrankheit einfach nicht mehr konnte. Das letzte, was er – und vor allem auch seine Mitreisenden – wollte, war, dass er sich in der engen Abgeschiedenheit des Tauchbootes wieder übergeben muss.
    Nun knie ich mehr als ich liege, leicht zusammengekrümmt, auf meiner dünnen Schaumstoffmatte und versuche durch das Mikro-Fenster, das neben mir einen kleinen Ausblick auf die Umgebung gewährt, ins dunkle Nichts des Marianengrabens zu spähen. Hans, ein deutschstämmiger Amerikaner aus Ohio, liegt direkt neben mir und beobachtet aus seiner Luke einen Schwarm Makrelen, der an unserem Boot vorbeizieht. Vor uns sitzt Doug, der bärtige, graumelierte Kapitän unseres kleinen Streifenhörnchens, wie ich ALVIN in Gedenken an den Film »Alvin und die Chipmunks« insgeheim getauft habe. Er hat die beste Position von uns dreien, kann er doch den Ausblick durch die mittig angebrachte, untertassengroße Luke, im Sitzen genießen. Sollte hier in der Gegend tatsächlich die 186 Meter lange US S Indianapolis samt ihrer möglichen Atomfracht am Meeresboden liegen, ich hätte sie nie im Leben gesehen. Dass sie bis heute unentdeckt blieb, wundert mich nun überhaupt nicht mehr. Ich beschließe, den Gedanken an das Wrack zu verdrängen, und stattdessen die Umgebung zu genießen. Der Tiefenmesser zeigt gerade 611 Meter und wir sinken ständig weiter nach unten. An meiner Sichtluke lenken einige Leuchtquallen, die wie ein Feuerwerk aus dem ewigen Dunkel auftauchen, ihre Aufmerksamkeit auf sich. Wir sind bereits seit eineinhalb Stunden unterwegs und ich weiß schon nicht mehr, wie ich mich verbiegen soll, um nur ja an keinem dieser mysteriösen Hebel und Schalter anzustoßen, die rings um mich die Kabinenwände verzieren. Wofür auch immer sie dienen, ich bin mir sicher, es ist keine gute Idee, sie zu berühren.
    Der Gedanke daran, dass unter mir ein ganzes Gebirge verborgen liegt, das nur ein Teil jenes 60.000 Kilometer langen Saums ist, der die Erde umzieht wie die Naht einen Baseball, beschert mir ein flaues Gefühl im Magen. Dass eine der höchsten Erhebungen dabei Hawaii bildet, macht die Sache auch nicht viel besser. Tief unter mir brodelt und kocht es, schwefelhaltige, glühend heiße Quellen stoßen permanent Lavaströme aus und das Zusammenstoßen der Platten, die unsere Erdkruste bilden, ist für die unzähligen Erdbeben verantwortlich, die jedes Jahr unseren Planeten erschüttern. Und dennoch ist diese Hölle ein wahres Paradies für eine Unmenge an Lebewesen. Robert Ballard hatte schon Recht, als er anlässlich einer Tagung einmal meinte: »Warum ignorieren wir die Ozeane? Weil oben der Himmel und unten die Hölle ist?« Dort unten scheint für uns Menschen die Hölle zu sein. Aber rechtfertigt das, dass wir uns um dieses Gebiet so wenig kümmern?
    Die orangeroten Ziffern des Tiefenmessers brennen sich mit der Zahl 2.456 in mein Gehirn. Ich bin jetzt acht Mal so tief, wie ich in Cocos war und 100 Mal so tief, wie ich durchschnittlich bei meinen Sporttauchgängen unterwegs bin. Es ist eine eigene, stille Welt, die sich mir hier bietet. Einzig das Brummen der Elektronik und das Pfeifen und Klicken des Sonars zeigen mir, dass wir ohne diese ganze Technik um uns herum in dieser Tiefe verloren wären. Ein Blitzlicht vor meiner fast 15 Zentimeter dicken Plexiglasscheibe zeigt mir, dass außerhalb unserer Kapsel das Leben in geordneten Bahnen vor sich geht. Ein Anglerfisch versucht mit seiner Leuchtangel auf Beutefang zu gehen. Apropos Essen: Ich bereue es mittlerweile, kurz vor unserem Tauchgang das Angebot von Pepe angenommen zu haben und mein Sandwich mit Cola hinuntergespült zu haben. An Bord der ALVIN gibt es natürlich keine Toilette – aber beim Blick auf die als »Human Range Extender« bezeichnete Flasche verkneife ich mir meinen Harndrang dann doch noch ein paar Stunden.
    In 2.967 Meter Tiefe erfassen die Scheinwerfer unseres tapferen Streifenhörnchens plötzlich eine dunkelgraue, sandige Fläche – der Beginn einer neuen Welt. Rundherum tauchen auf einmal alle möglichen Farben aus dem Dunkel auf. Knallrot, weiß, getupftes Orange, zartes

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