Tiefsee
Schritte und erkannte seinen Ersten Offizier, Kim Tschao, in der Spiegelung des Fensters.
»Wie sieht es von Ihrem Standpunkt aus, Mr. Tschao?« fragte er, ohne sich umzudrehen.
Tschao warf einen Blick auf den stündlich eintreffenden meteorologischen Bericht von der automatischen Datenanlage.
»Ruhige Fahrt für die nächsten zwölf Stunden«, antwortete er langsam. »Auch die weitere Wettervorhersage ist günstig. Wir haben ziemliches Glück, denn zu dieser Jahreszeit wehen die südlichen Winde gewöhnlich viel stärker.«
»Wir brauchen auch eine ruhige See, wenn wir genau nach Madame Bougainvilles Zeitplan in Genua anlegen sollen.«
»Weshalb die Eile?« fragte Tschao. »Zusätzliche zwölf Stunden Fahrt dürften doch keine Rolle spielen.«
»Für unsere Auftraggeberin spielen sie aber eine Rolle«, erwiderte Mangyai trocken. »Sie will unsere Fracht nicht länger als notwendig im Transit haben.«
»Der Chefingenieur macht mehr Wind als ein Taifun. Er behauptet, daß er diese Geschwindigkeit nicht während der ganzen Reise aufrechterhalten kann, ohne die Maschinen zu gefährden.«
»Er sieht immer gleich schwarz.«
»Sie haben die Brücke seit Odessa nicht mehr verlassen, Kapitän. Lassen Sie sich von mir ablösen.«
Mangyai nickte dankbar. »Ich könnte wirklich ein wenig Ruhe gebrauchen. Aber zuerst muß ich noch unseren Passagier aufsuchen.«
Er übergab Tschao die Brückenwache und stieg drei Decks hinunter zu einer schweren Stahltür mittschiffs am Ende eines Durchgangs. Er drückte den Sprechknopf an einem am Schott festgenieteten Lautsprecher.
»Mr. Hong, hier spricht Kapitän Mangyai.«
Als Antwort ertönte das leise Knarren der massiven Tür, als sie geöffnet wurde. Ein kleiner Mann mit einem Mondgesicht und einer Brille mit dicken Gläsern lugte vorsichtig um die Ecke.
»Ach ja, Kapitän. Bitte, treten Sie ein.«
»Kann ich Ihnen mit etwas dienen, Mr. Hong?«
»Nein, danke, ich fühle mich recht behaglich.« Hongs Vorstellung von Behaglichkeit wich beträchtlich von der Mangyais ab. Das einzige, das auf eine menschliche Behausung hinwies, war ein ordentlich unter einem Leinen-Klappbett verstauter Koffer, eine Decke, ein kleiner Elektrokocher mit einem Teetopf und ein an einem Schott befestigter Schreibtisch, dessen Oberfläche unter einem Berg von Geräten für chemische Analysen verschwand. Der Rest der Kabine war mit Holzkisten und Goldbarren angefüllt. Das Gold war in mehreren Reihen, dreißig Barren hoch und zehn tief, aufgeschichtet. Einige lagen auf dem Deck neben den offenen Kisten, deren nicht mit Sand bedeckte Seitenflächen folgende Beschriftung trugen: Vorsicht Quecksilber in Glas Suzaka Chemische GmbH Kyoto, Japan »Wie kommen Sie mit Ihrer Arbeit voran?« fragte Mangyai.
»Bis wir den Hafen erreichen, müßte ich eigentlich alles untersucht und wieder verpackt haben.«
»Wie viele vergoldete Bleibarren haben die Russen dazwischen geschmuggelt?«
»Keinen.« Hong schüttelte den Kopf. »Die Zahl stimmt, und jeder Barren, den ich bis jetzt geprüft haben, ist reines Gold.«
»Merkwürdig, daß sie so gefällig waren. Die Lieferung traf zur vereinbarten Stunde ein, die Dockarbeiter brachten sie ohne Zwischenfall an Bord, und uns wurde das Auslaufen ohne die üblichen behördlichen Schikanen gestattet. Ich habe nie, bei keiner meiner früheren Berührung mit sowjetischen Hafenbehörden, eine so zügige Behandlung erlebt.«
»Vielleicht besitzt Madame Bougainville großen Einfluß im Kreml.«
»Vielleicht.« Mangyai blieb skeptisch. Er blickte neugierig auf die Stöße von glänzendem, gelbem Metall. »Ich möchte wissen, was hinter dieser Transaktion steht.«
»Ich habe nicht die Absicht, danach zu fragen«, erklärte Hong, wickelte einen Barren sorgfältig in Watte und legte ihn in eine Kiste.
Noch ehe Mangyai antworten konnte, ertönte eine Stimme über den Lautsprecher. »Kapitän, befinden Sie sich dort drinnen?«
Er ging zur Tür und öffnete sie einen Spalt weit. Der Nachrichtenoffizier des Schiffes stand draußen im Korridor. »Ja, was gibt es?«
»Ich wollte Ihnen nur mitteilen, Kapitän, daß jemand unseren Funkverkehr absichtlich stört.«
»Sind Sie sich dessen sicher?«
»Ja, Sir«, bestätigte der junge Offizier. »Es gelang mir, die Störstelle zu orten. Sie befindet sich weniger als fünf Kilometer vor unserem Bug auf Backbord.«
Mangyai entschuldigte sich bei Hong und eilte auf die Brücke.
Der Erste Offizier Tschao saß ruhig auf einem hohen
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