Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
in der Stadt?«
Kilian schwieg. Er wusste genau, dass er mit dem Thema Galina einen Tanz auf dem Vulkan führte, aber er sah keine andere Chance. Bei seinen Recherchen war er auf Korrassow gestoßen. Er hatte das Tafelsilber aus dem Nachlass eines Zaren im Angebot. Galina hatte angebissen und war nach München gekommen. Nach der Besichtigung des Materials war sie mit dem Silber untergetaucht. Sie hatte Korrassow so viel Betäubungsmittel verabreicht, dass es für zehn Leute gereicht hätte. Kilian hatte den Tipp einen Tag zu spät bekommen. Er beschattete Korrassows Laden daraufhin für ein paar Tage. Doch Galina blieb verschwunden. Es sprach sich herum, dass die Tatarin Galina den Weißrussen Korrassow aufs Kreuz gelegt hatte. Kilian hatte davon gehört, dass unter Stalin die Tataren von der Krim verschwinden mussten. Unter ihnen sollen sehr wohlhabende und einflussreiche Geschäftsmänner gewesen sein, die mit ihrem Geld die Geschicke in Moskau mit gelenkt haben sollen. Diesem Einfluss wollte sich Stalin entziehen. Nach seinem Tod hat es wohl Racheanschläge auf die Stalinisten gegeben, die für die Vertreibung verantwortlich waren. Bei den Russen wusste man daher nie, wer mit wem etwas zu schaffen hatte und welche Fehde gerade ausgefochten wurde.
»Wo kann ich sie finden?«, drohte Korrassow.
»Manus manum lavat«, antwortete Kilian.
Korrassow zögerte. Dann verschwand er unter dem Rundbogen im Hinterzimmer. Kilian hörte Schubladen schlagen, Papierstöße fielen zu Boden, und Kisten wurden geräumt. Schließlich tauchte er mit einem Bogen Papier auf.
»Hier ist eine Liste von allen, die in den letzten zwei Jahren eine Feder bei mir bestellt haben.«
Kilian hielt inne. Wenn er seine Information preisgab, dann lief er Gefahr, dass Korrassow Galina geradewegs auf seine Spur setzte. Auf der anderen Seite würde er ohne die Namen nicht weiterkommen.
»Wo ist sie?«, fragte Korrassow bestimmt.
Kilian griff nach der Liste. Korrassow hielt sie fest.
»Wo-ist-sie?«, presste er hervor.
Kilian überlegte. Galina wäre bestimmt nicht mehr in Genua.
»Porto Vecchio. Genua.« Korrassow ließ die Liste los.
Kilian ging die Namen durch. Acht an der Zahl. Alle mit Adressen und Schuldenstand. Auch bestimmte Gefälligkeiten, die Korrassow arrangiert hatte, waren fein säuberlich verzeichnet. Keiner der Namen kam Kilian bekannt vor.
»Ist die Liste vollständig?«, fragte er misstrauisch.
»Mein Wort darauf«, versicherte Korrassow.
*
Heinlein goss sich eine Tasse Kaffee ein und blätterte im Protokoll der durchgeführten Sektion.
( … ) Daraufhin beenden die Obduzenten die gerichtliche Leichenöffnung und kommen übereinstimmend zu folgendem vorläufigen Gutachten:
I.
Nach den bisherigen kriminaltechnischen Ermittlungen sei Herr Franz Pechtle, laut Aussage seiner Frau Annemarie Pechtle, um zirka 22.15 Uhr aus der gemeinsamen Wohnung überstürzt aufgebrochen, um eine Tür am Seitenportal der Residenz zu überprüfen. Es wird vermutet, dass er vergessen hatte, sie im Zuge seines letzten Wachgangs um 20.00 Uhr zu verschließen.
Die Leiche wurde inmitten eines Bauschutthaufens am Morgen des nächsten Tages durch eintreffende Wachleute und Handwerker gefunden. Sie lag auf der rechten Körperseite. Der Kopf war nach hinten überdehnt, und quer durch den Thorax war eine, vermutlich durch den Aufprall gebrochene, Baulatte getrieben. Dem Aufprall ging offensichtlich der Sturz des Mannes aus einer Höhe von zirka sechs Metern voraus. An Vorerkrankungen sei bisher nichts bekannt geworden.
II.
Die Obduktion erfolgte zur Klärung der Todesursache und des Todeszeitpunkts.
III.
Leiche eines 52 Jahre alten Mannes in sehr gutem Ernährungszustand – es kann von Fettleibigkeit gesprochen werden. Keine erkennbaren inneren und äußeren Fäulnisveränderungen. Teils flüssiges, teils geronnenes Leichenblut.
Heinlein ersparte sich eine erneute Sektion und überblätterte mehrere Seiten.
( … ) Auffällig ist die vierte Eintrittsstelle. Sie ist nicht durch einen zusätzlichen vierten Nagel (Hinweis: s. Tatortaufnahme Bild Nr. 12) herbeigeführt worden, sondern durch die Feder eines Vogels, der so genannten Paradieselster. Die Eintrittstiefe der Feder beträgt zirka zwölf Zentimeter und hat die Luftröhre auf ihrer ganzen Breite, in Höhe des Kehlkopfes, perforiert. Im Gang der Wunde wurde als Zeugnis für obige Feststellung ein zirka ein Millimeter breiter Splitter gefunden, der zur Bestimmung der Feder führte. Bei
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