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Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall

Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall

Titel: Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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die sich über zwei Backenzähne erstreckte. Die genaue Passform und eine kleine Ausprägung ließen den Zahn genauso ebenförmig erscheinen wie die umliegenden.
    »Hab ich bisher selten gesehen. Muss ein richtiger Künstler gewesen sein.«
    Sie gab ihm das Schema, auf dem die auffällige Brücke separat skizziert war, und eine Röntgenaufnahme.
    »Die Kiefermuskulatur musste auf der rechten Seite ein wenig stärker ausgeprägt gewesen sein als auf der linken«, fügte Pia hinzu.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Der Abrieb der Zähne auf der linken Seite ist schwächer. Also muss sie irgendwelche Muskulaturprobleme gehabt haben. Eine Verformung des Unterkiefers konnte ich nicht feststellen. Für eine genauere Analyse ist das Material in einem zu schlechten Zustand. Der Dreckskerl muss wie ein Wilder auf den Schädel eingeschlagen haben. War ja alles zertrümmert. Post mortem. Er hat wohl damit gerechnet, dass die Leiche bald gefunden würde.«
    Pia kritzelte mit dem Kuli die Umrisse eines Gesichtes auf ein Papier und zeigte es Heinlein.
    »So ungefähr könnte sie von der Nase abwärts ausgesehen haben.«
    Heinlein hielt das Papier vor sich, drehte es nach allen Seiten und legte es zurück auf ihren Schreibtisch.
    »Nicht schlecht, Pia. Du bist wirklich ein Genie. Nur befürchte ich, dass es dir auf Dauer nicht gut bekommt.«
    »Warum? Nur weil ich dir zeige, wie die Tote ausgesehen hat?«
    »Weil du zu gut bist. Welcher Mann könnte neben dir existieren?«
    Pia schmunzelte: »Hechel-hechel. Denk dran, wenn du deine Claudia triffst.«
    Heinlein schloss die Tür hinter sich, ohne eine Antwort zu geben.
    *
    Kilian fragte einen der Handwerker nach Giovanna. Sie gehe um diese Uhrzeit immer spazieren, sagte er, während er und seine Kollegen die Drecksarbeit machen durften. Kilian schritt durch den Gartensaal auf die offenen Türen zu, die direkt in den Hofgarten führten. Eine Gruppe Touristen starrte gebannt auf das Fresko Zwicks, das ihn an den Kerzenlicht-Abend mit Giovanna erinnerte. Ein Faun, der seine mächtigen Flügel nicht im Rücken, sondern seltenverkehrt auf den Schultern trug, war immer für einen Lacher gut. Kilian blieb stehen und schaute nach oben. Stimmt, dachte er, der Faun mit den verkehrten Flügeln. Früher hatte er dieses Detail parat, aber durch die lange Abwesenheit hatte er es vergessen. Damals war er oft mit seiner Mutter hier gewesen, die in die Residenz und in alles, was Würzburg an Kulturellem vorweisen konnte, vernarrt war. Ihr kleiner Bandit, wie sie ihn nannte, hatte aber überhaupt kein Interesse für Deckenmalereien und Kirchenkanzeln. Sein Sinn strebte nach den Handtaschen und Geldbörsen der Touristen. Es war ganz einfach. Keiner dachte beim Anblick der Fresken noch an seine Habseligkeiten, alle blickten gebannt an die Decke. So stellte er sich neben sie und griff in die Taschen. Und wenn wirklich jemand auf ihn aufmerksam geworden war, zeigte er einfach nach oben und schlug seine kleinen Arme, wie der Faun seine Flügel schlug. Manchmal bekam er sogar einen Kaugummi oder ein Bonbon für seine Aufmerksamkeit zugesteckt.
    Kilian ging hinaus in den Hofgarten, wo ein Meer an Blumen ihn in Empfang nahm. Er schaute sich um, konnte Giovanna aber nicht entdecken. Ein Gärtner schickte ihn die Treppen hoch, wo er Giovanna vor zehn Minuten gesehen haben wollte.
    Kilian nahm den linken, völlig zugewachsenen Weg, der leicht ansteigend nach oben führte. Das Sonnenlicht stach durch den Farn, der den Weg zu einem Tunnel machte. Früher war er oft hierher gekommen. Immer in Begleitung einer jungen Frau, der er neben der Gartenanlage auch die ruhigen, romantischen Ecken zeigte. Meistens hatte er sie bei den zahlreichen Weinfesten der Stadt kennen gelernt und war »ein paar Schritte« mit ihnen gegangen, wie er es nannte.
    Als er auf der Terrasse bei der Bastionsspitze angekommen war, überblickte er den ganzen Garten. Nirgendwo war Giovanna zu sehen. Die Residenz, der Gartensaal breiteten sich vor ihm aus. Vereinzelt strömten Touristen ins Freie und folgten ihm durch die gepflegten Parkanlagen.
    Doch für die Schönheit der Umgebung hatte Kilian jetzt keine Zeit. Beim nächsten Mal, sagte er sich und wollte den südlichen Weg zurück nehmen. Bevor er die Treppe ganz hinuntergegangen war, sah er sie. Sie saß auf einer Bank im Südgarten, gleich gegenüber dem Springbrunnen. Er lag inmitten von Blumenbeeten und Rasenflächen. Kegelförmig geschnittene Eiben, die über 160 Jahre alt sein sollten,

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