Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
Lichtschein eines vorbeifahrenden Fahrzeuges, der für weniger als eine Sekunde das Gesicht seines Landesvater bloßstellte, war auf dem Streifen nicht viel zu erkennen. Aber das war unwichtig. Entscheidend war die höchst oberbayerische Präsenz. Nur, wieso sollte er das gemacht haben? Die Löwen waren bayerisch, Zeichen des Königshauses, Insignien der Vormachtstellung. Außerdem hatte Oberhammer nichts davon gehört, dass der pater bavariae in Würzburg gewesen war. Das hätte er als Leitender Polizeidirektor doch erfahren müssen. Irgendwas stimmte hier nicht. War es ein Bluff? Hatte ihn Kilian aufs Kreuz gelegt? Nein, das würde er nicht wagen.
Doch das Bild war existent. Unübersehbar vorhanden. Er musste sich Gewissheit verschaffen und spulte das Band erneut bis zu der demütigenden Stelle. Er drückte die Pause-Taste und ließ das Bild auf dem Bildschirm einfrieren.
Was sah er? Eine dunkle Festung Marienberg, Beine, die auf dem Sockel standen, und einen dazugehörigen Hintern, der von hinten gestützt wurde. Der, der ihn stützte, war sein Landesvater. Unvorstellbar, aber zweifellos. Sein unerbittlicher Blick, den er an ihm so schätzte. Er zeigte Stärke und Überlegenheit. Daneben die starken Arme und breiten Hände. Ja, es waren starke Arme, die den Freistaat fest im Griff hatten. In diesem Fall auch die hinteren Teile. Und er wusste, was es geschlagen hatte. Die goldene Uhr um sein Gelenk, die er allen beim Festbankett zu seinem sechzigsten Geburtstag voller Stolz präsentierte. Sie war das Geschenk seiner Tochter und führte die bayerischen Löwen auf dem Zifferblatt. Nie und nimmer würde er sie abstreifen, geschweige, sie eintauschen wollen, hatte er ihr an seiner Seite versprochen. Die Polizeichefs des Freistaates waren gerührt. Besonders Oberhammer.
Doch was war das? Das war ja gar nicht die Uhr, die er in Erinnerung hatte und die er bei der Verabschiedung hatte berühren dürfen. Dieses billige Hongkong-Imitat einer Rolex gehörte jemand anderem. Und er wusste auch, wem.
»Diese Lumpen«, schrie er, »so ein elendes Pack. Wollen mich hinters Licht führen. Mich!«
Er schrie nach Uschi, die eine Sekunde später ins Zimmer stolperte.
»Diese Zeugenaussage«, sagte er, »beschaffen Sie sie mir. Sofort.«
»Welche?«, fragte Uschi vorsichtig an.
»Na, die, die ich gestern beim Heinlein im Stapel gefunden hab.«
»Die von den Löwen?«
»Was denn sonst? Her damit!«
Uschi wollte das Befohlene sofort in die Tat umsetzen, wurde aber zurückgerufen. »Und besorgen Sie mir den Zeichner. Den Balling oder wie der heißt.«
»Den Phantomzeichner?«
»Ja, verdammt. Und jetzt los. Es brennt.«
Uschi schloss die Tür und setzte sich ans Telefon. Sie wählte Sabines Nummer.
»Hallo, Sabine, hier Uschi«, begann sie zuckersüß.
»Weißt du noch gestern, der Stapel vom Schorsch. Da war doch so eine Zeugenaussage drin.«
Sabine bestätigte, fragte aber misstrauisch nach, was es damit auf sich habe. Die Sache war doch höchstpersönlich von ihrem Chef eingestellt worden.
»Nichts. Nur Routine. Er will den Bericht nach München fertig machen. Du verstehst?«
Sabine dachte sich nichts weiter, sie war erleichtert, dass die Angelegenheit endlich erledigt war, und versprach ihr, den Bericht sofort zu faxen.
Uschi bedankte sich für die kollegiale Hilfe, legte den Hörer auf und bewunderte die neue Farbe an ihren Fingernägeln.
»Wart’s ab, du kleines Miststück. Jetzt hab ich dich.«
*
Kilian startete den Wagen und fuhr rasant um die Kurve auf die Ausfahrt des Parkplatzes zu, als etwas aus dem Nichts vor ihm auftauchte. Er stieg auf die Bremse und schlug mit dem Kopf gegen das Lenkrad. Er blieb benommen sitzen. Blut tropfte aus seiner Nase. Jemand riss die Fahrertür auf, und Kilian wurde herausgezogen. Er hatte Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten, suchte die Person zu erkennen, die ihn so unsanft aus dem Wagen befördert hatte.
»Du missratener Hundesohn!«, schrie Papa Hoffmann ihn an, während er ihn am Kragen packte und schüttelte.
»Ist es das, was ich dir beigebracht habe? Hab ich dir nicht immer wieder gesagt, dass du pfleglicher mit deinen Mitmenschen umgehen sollst? Ich sollte dich am besten über den ganzen Parkplatz prügeln oder dich gleich hier überfahren.«
Nur undeutlich nahm Kilian wahr, wer ihn da vor der Fensterfront, hinter der seine Kollegen saßen, anschrie. Einer nach dem anderen baute sich hinter den Fenstern auf. Sie erwarteten nun bestimmt ein amüsantes
Weitere Kostenlose Bücher