Tierarzt
ins Hochland hinauf. Ich konnte nicht viel sehen. Und oben im Moor sah ich überhaupt nichts mehr, denn dort fiel der Schnee in großen, trockenen Flocken, die sich gemächlich mit Millionen anderer auf dem tiefen weißen Teppich niederließen, der die Straße bereits bedeckte. Ich verstand nicht, wie Granville es fertigbrachte, etwas zu sehen, ganz zu schweigen von seinem zügigen Tempo; und noch weniger konnte ich mir vorstellen, wie wir in ein paar Stunden, wenn der Wind die Spur verweht hatte, auf dieser Straße hier zurückfahren sollten. Aber ich sagte nichts. Ich hatte das Gefühl, daß Granville mich allmählich für eine zimperliche alte Jungfer hielt, und fügte mich gottergeben in mein Schicksal.
Punkt neun Uhr hielten wir auf dem Hof von ›Pemberton Arms‹. Ich konnte es kaum glauben, als ich steifbeinig aus dem Wagen kletterte. Leise schlichen wir uns in den Saal. Bereit, mich über die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft belehren zu lassen, nahm ich auf einem Stuhl in den hinteren Reihen Platz. Auf dem Podium stand ein Mann und redete. Zuerst begriff ich so gut wie nichts von dem, was er sagte; er erwähnte nichts von Tierkrankheiten, aber plötzlich verstand ich seine Worte.
»Wir sind Herrn Professor Milligan sehr dankbar, daß er die weite Reise auf sich genommen hat, um uns diesen interessanten und lehrreichen Vortrag zu halten. Ich weiß, ich spreche im Namen aller, wenn ich sage, daß es ein Vergnügen war, ihm zuzuhören, und ich bitte Sie, ihm die verdiente Anerkennung zu spenden.« Starker Applaus folgte, dann schoben die Zuhörer ihre Stühle zurück und standen auf.
Erschreckt drehte ich mich Granville zu. »Das war die Dankesrede, wir sind zu spät gekommen.«
»Ja, ich weiß.« Er schien weder enttäuscht noch überrascht. »Kommen Sie – es gibt noch andere Genüsse.«
Wir schlossen uns den anderen Teilnehmern an und gingen durch das mit dicken Teppichen ausgelegte Vestibül in einen hellerleuchteten Raum, wo die Tische gleich reihenweise reich mit Speisen beladen waren. Dann sah ich Bill Warrington, den Vertreter von Burroughs Wellcome, und mir wurde alles klar.
Der Abend war eine Werbeaktion, und der Teil, auf den es nach Granvilles Meinung letztlich ankam, begann in diesem Augenblick. Mir fiel ein, daß Siegfried mir einmal gesagt hatte, Granville lasse sich nur ungern ein Ereignis wie dieses entgehen. Obwohl es kaum einen großzügigeren Menschen als ihn gab, übten die hier kostenlos dargebotenen Speisen und Getränke eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn aus.
Zielstrebig führte er mich in Richtung der Bar, doch wir wurden immer wieder aufgehalten, denn alle Welt schien Granville zu kennen. Ich bin seither oft mit ihm in Restaurants und Bars und auf allen möglichen Veranstaltungen gewesen – es war immer das gleiche. Ich bin sicher, auch wenn ich mit ihm in den tiefsten Urwald des Amazonas ginge, würden wir bestimmt jemandem begegnen, der Granville erfreut auf die Schulter klopft und sagt: »Hallo, alter Junge, wie geht’s denn?«
Schließlich bahnte er uns jedoch einen Weg durch die Menge, und wir gelangten zur Bar, hinter der zwei dunkelhäutige kleine Barkeeper mit weißen Jacken bereits tüchtig bei der Arbeit schwitzten. Sie handhabten Gläser und Flaschen mit der unpersönlichen Konzentration von Leuten, die wußten, daß Tierärzte bei derartigen Veranstaltungen stets eine Menge Whisky konsumierten, aber sie hielten inne und lächelten, als Granvilles imponierende Gestalt sich über die Theke neigte.
»Hallo, Mr. Bennett. Wie geht es Ihnen, Mr. Bennett?«
»Guten Abend, Bob. Guten Abend, Reg«, erwiderte Granville würdevoll.
Ich bemerkte, daß Bob die Flasche, aus der er bisher ausgeschenkt hatte, hinstellte und unter der Theke eine Flasche ›Glenlivet Malt‹ hervorholte, aus der er Granville ein Glas eingoß. Mein Kollege schnupperte anerkennend an dem edlen Getränk.
»Und eins für meinen Freund, Mr. Herriot«, sagte er.
Die respektvollen Blicke der Barkeeper gaben mir das Gefühl, eine wichtige Persönlichkeit zu sein, und ich nahm mit gelassener Miene mein gutgefülltes Glas in Empfang. Ich mußte schnell austrinken und es mir in rascher Folge noch mehrmals füllen lassen, denn die Barkeeper richteten sich nach dem Konsum meines Begleiters.
Dann folgte ich Granvilles Spuren. Er schien ganz in seinem Element zu sein, als er sich majestätisch zwischen den reichbeladenen Tischen hindurch bewegte. Die Firma Burroughs Wellcome hatte keine
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