Tiere im Rampenlicht - aus meinem Leben als Filmtiertrainer
Heuschreckenplage sind einzelne Tiere, die im wahrsten Sinne des Wortes aus heiterem Himmel die handelnden Personen anfliegen. Als die Hauptdarstellerin Juliane Köhler in der Rolle der Jettel eines Tages allein über die Felder der Farm spazieren geht, landet plötzlich eine riesige Heuschrecke mitten auf ihrer weißen Bluse. Jettel erschrickt, streift das Tier von sich ab. Aber da landet schon ein zweites auf ihrer Schulter, ein drittes, ein viertes. Sie schreit leise auf. Die ersten Tiere verfangen sich in ihren Haaren, sie wird hektisch. Neugierige einheimische Kinder kommen herbeigelaufen, Heuschrecken in ihren Händen haltend, sie rufen auf Suaheli: »Sigi! Sigi!«
Auch im Farmhaus tauchen vereinzelte Tiefflieger auf. Allmählich verdunkelt sich der Himmel und eine lebende, nahezu
schwarze Wolke nähert sich bedrohlich. Owuor, der Massai-Vorarbeiter, klemmt sich hinter seine Trommel. Seine Hände schlagen eine Nachricht in die Weite der Landschaft. Owuors Getrommel wird erwidert. Ferne Trommeln antworten, werden immer heftiger, sie ergeben eine bedrohliche Szenenmusik. Die so herbeigetrommelten Einheimischen laufen von allen Seiten schreiend und bewaffnet mit Holzkeulen, Eisenstangen und Töpfen auf die Felder, wo die jungen Maispflanzen gerade anfangen Früchte zu tragen. Ein Jeep taucht auf und versucht, sich einen Weg durch die schwarze Heuschreckenmasse zu bahnen. Erkennen kann der Fahrer nichts mehr, denn auf der Windschutzscheibe hat sich eine einzige Masse von Insekten angesiedelt. Die Redlichs und einige afrikanische Farmarbeiter stehen bereits auf den Feldern, bis an die Zähne bewaffnet mit ihren Töpfen, Kellen, Holzlöffeln und Tellern. Sie versuchen, die gefräßigen Tiere mit viel Lärm von der Farm und ihren Maisfeldern, die sie ernähren, zu vertreiben. Ein verzweifelter Versuch, zu retten, was zu retten ist. Die Protagonisten haben geschrien, geweint, gezetert und gekämpft, bis der Schwarm endlich davonzog.
So weit, so gut, die Aufgabenstellung war klar. Die Herangehensweise wie bei Hund und Katz ist für die Locusta migratoria nicht angebracht. So gut ich als Tierkommunikator auch sein mag, die große, gefräßige Heuschrecke wird sich kaum geneigt zeigen zu kommunizieren. Eine Domestizierung ist nicht möglich, es kann kein Abhängigkeitsverhältnis geschaffen werden, das mir einen Hebel liefern würde, um den Tieren zu vermitteln, was ich von ihnen will. Aufgrund ihrer relativ kurzen Lebensdauer blieb ohnehin keine Zeit für ein aufwendiges Einzeltraining – und bei zehntausend Tieren würde ich schlichtweg nicht lange genug leben, geschweige denn die Heuschrecken. Zudem sollte die Produktion des Filmes noch im 21. Jahrhundert abgeschlossen sein.
Es gab nur eine Lösung. Ich musste die Instinkte der Tiere manipulativ für die gestellte Aufgabe nutzen. Das soziale Leben der Wanderheuschrecke läuft unspektakulär und dezent ab, denn ein Großteil ihres Lebens verbringt sie als Einzelgänger, oder besser: Einzelflieger. Erst wenn die Nahrung knapp wird, schließen die Tiere sich zu den gefürchteten riesigen Schwärmen zusammen. Während dieser Zeit wächst das Gehirn der Wanderheuschrecke linear mit den Impulsen, die sie zu bewältigen hat. Ein Phänomen mehr, das die Natur hervorgebracht hat. Das Futter spielt bei diesen verfressenen Tieren die wichtigste Rolle. Wie also könnte ich mir genau dieses ausgeprägte instinktive Verhalten zunutze machen und die Tiere kontrolliert, mit einem kalkulierbaren Risiko an die gestellte Aufgabe heranführen? Selbst wenn ich versuche, wirklich alle Unsicherheitsfaktoren zu eliminieren, muss ich doch immer mit einem gewissen Restrisiko leben. Gegen verbale Motivation, akustische Lockrufe und soziale Bindung sind die Heuschrecken immun. Wie aber könnte ich sie trotzdem führen?
Meine eigene Vergesslichkeit half mir, die Antwort zu finden. Eines Tages ließ ich nämlich das Terrarium mit den hundert Wanderheuschrecken offen stehen. Im Nebenzimmer hatte ich einen Haselnusszweig für die anstehende Fütterung der Tiere vorbereitet. Es dauerte keine zehn Minuten und alle, wirklich alle Terrariumbewohner saßen auf dem Haselnusszweig. Eine Idee war geboren: die mobile Fütterung! Jeden Tag wechselte ich die Futterstelle, und zielsicher fanden alle Tiere den Zweig mit der so leckeren frischen Blätternahrung. Keines der Tiere verirrte sich irgendwo anders im Haus. Es ging so weit, dass die Heuschrecken beim Öffnen des Terrariums postwendend
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