Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
von der Kleidung des Mannes, von Haut und Haaren vermutlich auch.
»Dottore«, sagte Brunetti mit gedämpfter Stimme, um ihn nicht zu erschrecken. Der Mann schnarchte leise weiter.
»Dottore«, wiederholte Brunetti etwas lauter.
Bewegte der Mann die Augen? Sie lagen tief in den Höhlen, als hätten sie sich vor dem ringsum wuchernden Fett zurückgezogen. Die Nase war seltsam schmal und versank in den dicken Wangenpolstern, die ihm zusammen mit den wulstigen Lippen fast die Luft zum Atmen abschnitten. Der Mund war ein perfekter Amorbogen, freilich ein sehr dicker, unhandlicher.
Schweiß bedeckte als dünner Film das Gesicht und klebte das schüttere Haar so glatt an den Schädel, dass Brunetti an die ölige Pomade denken musste, die sein Vater vor Jahrzehnten immer benutzt hatte. »Dottore«, sagte er zum dritten Mal, diesmal in normaler Lautstärke und vielleicht schon ein wenig gereizt.
Die Augen blitzten auf; klein, dunkel, neugierig, und dann plötzlich weit vor Angst. Ehe Brunetti noch etwas sagen konnte, schob sich der Mann vom Schreibtisch weg und kam auf die Beine. Er sprang zwar nicht auf, bewegte sich aber doch so schnell, wie sein massiger Leib es nur gestattete. Er drückte sich an die Wand hinter ihm und schielte nach der Tür, dann zuckte sein Blick hin und her zwischen Brunetti und Vianello, der ihm den Weg versperrte.
»Was wollen Sie?«, quiekte er, was so gar nicht zu seiner mächtigen Gestalt passen mochte; aber es konnte auch nur Panik sein.
»Wir möchten Sie sprechen, Dottore«, erklärte Brunetti sachlich und unterließ es bewusst, sich und Vianello vorzustellen oder den Zweck ihres Besuchs zu erklären. Wie er mit einem Seitenblick feststellte, war es dem Ispettore irgendwie gelungen, sich in einen finsteren Schläger zu verwandeln. Vianello wirkte kompakter und stand leicht nach vorn geneigt, als warte er nur auf den Befehl, sich auf den Mann zu stürzen. Seine Hände, zu Fäusten geballt, schienen nach imaginären Waffen greifen zu wollen. Sein sonst so freundliches Gesicht hatte einen lauernden Ausdruck angenommen, die Lippen leicht geöffnet, die Augen auf der Suche nach den Schwachstellen seines Gegners.
Der Arzt hob die Hände vor die Brust, Handflächen nach außen, und tätschelte die Luft, wie um zu prüfen, ob die stark genug sei, diese Männer von ihm fernzuhalten. Auf einmal lächelte er. »Das muss ein Irrtum sein, Signori. Ich habe alles getan, was Sie verlangt haben. Das wissen Sie doch.«
Plötzlich brach jenseits der Tür die Hölle los. Erst ein Poltern, ein Gebrüll, dann das gellende Kreischen einer Frau. Ein Stuhl fiel um oder wurde umgeworfen, eine andere Frau stieß einen wüsten Fluch aus, dann ging alles in hysterischem Bellen und Knurren unter. Es folgte hektisches Kläffen, das abrupt vom Keifen zweier schriller Stimmen abgelöst wurde.
Brunetti zog die Tür auf. Die alte Frau hatte sich hinter einem umgestürzten Stuhl verbarrikadiert, hielt ihren zitternden Hund in den Armen und schimpfte wie ein Rohrspatz auf eine Frau, die sich in die hinterste Ecke des Wartezimmers verzogen hatte. Letztere hatte ein kantiges Gesicht und war dünn wie eine Bohnenstange, vor ihr standen zwei wild bellende Hunde mit ungewöhnlich großen Köpfen. Sie bellten so hysterisch, wie die beiden Frauen zeterten, nur mit dem Unterschied, dass ihre Stimmen tiefer waren und ihnen der Geifer von den Lefzen hing. Zum ersten Mal in seiner Karriere hätte Brunetti am liebsten seine Pistole gezogen und einen Schuss in die Luft abgegeben, um mit dem ohrenbetäubenden Lärm alle zum Verstummen zu bringen; aber er hatte seine Pistole gar nicht dabei.
Stattdessen schritt er auf die zwei Hunde zu; im Vorbeigehen nahm er eine Zeitschrift vom Tisch, rollte sie zusammen und gab damit einem der großen Hunde einen leichten Klaps auf die Nase. Das Tier jaulte unverhältnismäßig laut auf und zog sich ebenso überraschend wie kläglich hinter sein Frauchen zurück. Sein Kumpan sah zu Brunetti auf und wollte die Zähne fletschen, aber eine drohende Bewegung mit der zusammengerollten Zeitschrift ließ ihn ebenfalls in Deckung gehen.
Mit einem Mal schimpfte die Frau mit den beiden Hunden nicht mehr auf die andere ein, sondern machte Brunetti zum Ziel ihres Gezeters, das in der wichtigtuerischen Ankündigung endete, sie werde die Polizei rufen und ihn festnehmen lassen. Nachdem sie so die Oberhand gewonnen zu haben glaubte, verstummte sie endlich. Sogar die Hunde entspannten sich, knurrten zwar noch
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