Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
standen zwei Weingläser, eine Schale mit schwarzen Oliven, eine mit Mandeln, daneben Grissini und ein Teller mit kleinen Bröckchen Parmesan. »Reggiano«, sagte er. Seine Mutter hatte sich selbst in Zeiten größter Not geweigert, etwas anderes als Parmigiano Reggiano zu nehmen. »Lieber nichts als etwas, das nicht gut ist«, pflegte sie zu sagen, und er sah das genauso.
Paola kam mit einer Flasche Wein. Brunetti sah zu ihr auf. »Besser nichts als etwas, das nicht gut ist«, sagte er.
Lange Erfahrung mit Brunettis rätselhaften Stimmungen entlockte Paola ein Lächeln. »Ich nehme an, du sprichst von dem Wein?«
Er hielt die Gläser, sie schenkte ein, dann nahm sie neben ihm Platz. Pinot Grigio: Er hatte eine Gedankenleserin geheiratet. Er nahm ein paar Mandeln, aß sie eine nach der anderen und genoss den Kontrast zwischen ihrer Bitterkeit, dem Salz und dem Wein.
Ohne Vorwarnung entführte ihn die Erinnerung auf den mit Kies bedeckten Platz vor dem Schlachthof, und plötzlich wehte ihm auch wieder der Geruch in die Nase. Er schloss die Augen, nahm noch einen Schluck Wein und konzentrierte sich bewusst auf dessen Geschmack, den der Mandeln und die beruhigende Nähe seiner Frau. »Erzähl mir, was du deinen Studenten heute beigebracht hast«, sagte er, streifte die Schuhe ab und lehnte sich zurück.
Sie nahm einen großen Schluck, knabberte an einem Grissino und aß ein Käsestückchen. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihnen was beigebracht habe«, fing sie an, »aber ich hatte sie gebeten, Die Schätze von Poynton zu lesen.«
»Das über die Frau mit der vielen Habe?«, sprach er nun nicht mehr in Rätseln, sondern wie vom Katheder herab.
»Ja, mein Lieber«, sagte sie und schenkte ihnen beiden Wein nach.
»Und? Wie fanden sie es?«, fragte er, plötzlich neugierig. Er hatte das Buch gelesen – freilich eine Übersetzung, ein übersetzter James war ihm lieber –, und es hatte ihm gefallen.
»Sie konnten offenkundig nicht begreifen, dass sie ihre Besitztümer liebt, weil sie schön sind, und nicht, weil sie wertvoll sind. Dass Wert nicht unbedingt etwas mit Geld zu tun haben muss.« Sie trank ein Schlückchen. »Meinen Studenten fällt es schwer, Verhaltensweisen nachzuvollziehen, die nicht von Profitstreben motiviert sind.«
»Da sind sie nicht die Einzigen«, sagte Brunetti und nahm sich eine Olive. Er aß sie und spuckte den Kern in die linke Hand, die kein bisschen zitterte. Er legte den Kern auf eine kleine Untertasse und nahm noch eine.
»Und sie hatten Sympathie für die falschen… für Gestalten, die mir unsympathisch sind«, sagte sie.
»Kommt da nicht eine sehr unangenehme Frau drin vor?«, fragte er.
»Zwei«, antwortete sie und sagte, in zehn Minuten sei das Essen fertig.
23
Am nächsten Morgen verließ Brunetti bei Nieselregen das Haus. Als er am Rialto ins Vaporetto stieg, stand das Wasser ziemlich hoch, aber auf seinem telefonino war keine Warnung vor acqua alta eingegangen. Höhere Wasserstände zu ungewöhnlichen Zeiten hatten in den letzten zwei Jahren zugenommen; die meisten Venezianer – und alle Fischer – hielten dies für Auswirkungen des MOSE -Projekts mit seinen gewaltigen Baumaßnahmen am Eingang der laguna, was jedoch von amtlicher Seite hartnäckig bestritten wurde.
Foa, der Bootsführer der Questura, konnte bei dem Thema außer sich geraten. Er hatte die Strömungsverhältnisse zusammen mit dem ABC gelernt und konnte die Namen aller Winde auf der Adria aufsagen wie ein Priester die Namen der Heiligen. Von Anfang an skeptisch, hatte Foa das stählerne Monster wachsen sehen und immer wieder erleben müssen, wie jeglicher Protest dagegen von der Flut entzückender europäischer Fördermittel zur Rettung der Perle der Adria hinweggeschwemmt wurde. Seine Fischerfreunde erzählten ihm von mächtigen neuen Strudeln, die auf dem Meer und in der laguna entstanden waren, und von den Folgen der pharaonischen Ausbaggerungen der letzten Jahre. Niemand, behauptete Foa, habe sich die Mühe gemacht, die Fischer um Rat zu fragen. Stattdessen hätten Experten – Brunetti erinnerte sich, wie Foa bei dem Wort ausgespuckt hatte – die Entscheidungen getroffen und die Bauaufträge natürlich anderen Experten zugeschustert.
Seit zehn Jahren stritten sich Gegner und Befürworter, und erst vor kurzem hatte Brunetti gelesen, die Fertigstellung des Projekts werde sich durch weitere Verzögerungen bei der Finanzierung noch einmal um drei Jahre verschieben. Als Italiener hatte er den
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