Tiffany Duo 40
aber er konnte der
Anschuldigung, er würde sich vor den Menschen verschließen, nichts
entgegensetzen. Madelyn stand ihm näher als sonst jemand. Sein Vater hatte ihre
Mutter geheiratet, als sie zehn und er sechzehn gewesen war. Eigentlich ein zu
großer Altersunterschied für echtes gegenseitiges Verständnis - aber Robert hatte
ihr geholfen, sich in ihrem neuen Heim einzugewöhnen. Gemeinsam hatten sie die
Trauer um den verstorbenen Vater getragen, dann - fünf Jahre später - um die
Mutter. Die meisten Stiefgeschwister hätten sich nach solchen Verlusten
auseinandergelebt. Auf Madelyn und Robert traf das nicht zu, weil sie enge Freunde
geworden waren.
Er war tatsächlich ein Rätsel - elegant, attraktiv, geradezu beängstigend intelligent, mit einem sehr privaten Wesenskern, den niemand berühren durfte. Nur Madelyn
wusste, dass dieser verborgene Kern überhaupt existierte. Niemand
anderer kannte ihn so gut. Seit dem Antritt seines Erbes hatte er die verschiedenen
Unternehmen der Cannon Companies umgestaltet und den Umsatz erheblich
gesteigert. In seinen schmalen Händen lag ungeheure Macht. Aber nicht einmal das
Cannon-Imperium schien Roberts privates Zentrum zu erreichen. Das blieb eine
unverwundbare Zitadelle.
Es sah so aus, als würde er alle Gefühle im Zaum halten. Die Frauen umschwärmten
ihn, doch er war sehr wählerisch, was seine Bettgefährtinnen anging, und im Grunde
monogam veranlagt. Wenn er sich eine Freundin ausgesucht hatte, war er
mindestens ein Jahr lang mit ihr zusammen und während dieses Zeitraums auch
treu. Eine seiner Verflossenen hatte sich kurz nach dem Ende der Affäre auf einer
Party betrunken, an Madelyns Schulter geschluchzt und beteuert, sie würde niemals
einen anderen lieben. Denn wer könne sich mit Robert vergleichen? Die
Prophezeiung erfüllte sich. Nach ein paar kurzfristigen Abenteuern verzichtete sie
nun darauf, sich mit Männern einzulassen.
Jetzt beobachtete er Madelyn amüsiert, und nach einer kleinen Weile beantwortete
sie ihre Frage selbst. »Es wäre eine geheimnisvolle Sprache - natürlich eine tote
Sprache, die du in einen selbst erfundenen Code übersetzt hast. Um Winston
Churchill zu zitieren - du bist ein Rätsel, in einem Puzzle versteckt.«
Beinahe lächelte er. Zumindest zuckten seine Lippen, und er nickte, um Madelyns
Einschätzung seiner Persönlichkeit zuzustimmen. Er kostete den Scotch, ließ den
rauchigen Geschmack auf der Zunge zergehen und fragte: »Was gibt's zum Dinner?«
»Konversation.«
»Essen wir nur unsere Worte?«
»Und Spaghetti.«
Er warf dem Scotch einen schmerzlichen Blick zu und stellte das Glas ab, weil er
bezweifelte, dass dieses Getränk zu Nudeln passte. Madelyn schaute ihn mit einer
Engelsmiene an,
was die Belustigung in seinen Augen vertiefte. »Worum wird sich unsere
Konversation drehen?«
»Nicht zuletzt um die Tatsache, dass ich einen neuen Job suche«, erwiderte sie auf
dem Weg zur Küche.
Er folgte ihr und half ihr ohne Zögern, den Tisch zu decken und das Essen
aufzutragen. »Es ist also an der Zeit? Was hat dich zu diesem Entschluss
veranlasst?«
Madelyn hob die Schultern. »Mehrere Dinge. Den wichtigsten Grund hast du bereits
genannt. Es ist an der Zeit.«
»Du sagtest: .Nicht zuletzt'. Was gibt's sonst noch?«
Typisch Robert, hinter jedem kleinen Wort eine besondere Bedeutung zu sehen,
dachte sie. Lächelnd sah sie zu, wie er die Gläser mit Wein füllte. »Am Samstag fliege ich nach Montana.«
Er kniff die Augen zusammen, ein Zeichen seines intensiven Interesses. »Was führt
dich dorthin?«
»Nicht was - wer.«
»Also gut. Wer?«
»Ein Mann namens Ray Duncan. Vielleicht heirate ich ihn.«
Manchmal konnten Roberts hellgrüne Augen einen stählernen Glanz annehmen, so
wie jetzt. »Das klingt wie ein Wetterbericht«, entgegnete er in gleichmütigem Ton.
»Könntest du den Prozentsatz angeben? Ist die Chance einer Hochzeit
vierzigprozentig? Oder fünfzigprozentig?«
»Das weiß ich erst, wenn ich den Mann kennen gelernt habe.«
Er hatte Spaghetti auf seinen Teller gehäuft. Jetzt legte er das Vorlegebesteck
bedächtig beiseite und holte tief Luft. Madelyn beobachtete ihn gespannt. Dies war
einer der seltenen Momente, wo sie es geschafft hatte, ihren Stiefbruder zu
verblüffen. Vorsichtig fragte er: »Soll das heißen, dass du ihn noch nicht kennst?«
»Wir haben zwar korrespondiert, sind uns aber noch nie begegnet. Vielleicht mögen
wir uns gar nicht. Die
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