Tiffany Duo 48
worden war wie damals, als
sie noch zu Hause lebte. Aber sie hatten sich alle gegenseitig lieb, Sybil
wurde ebenso geliebt wie ihre viel erfolgreicheren Schwestern. Sie gehörte nur eben
nicht zu ihnen.
Am Mittwoch war sie hergeflogen, nun war Samstag, also brauchte sie nur noch vier
weitere Tage zu bleiben. Sie würde es schon ertragen, bisher war noch nichts
Unangenehmes geschehen. Das einzige Schlechte an diesem Besuch war Nick. Ihre
Träume waren sogar noch schlimmer geworden. Kein Wunder, nach dem Kuß, den
er ihr zum Abschied gegeben hatte. Sie hatte die zweistündige Fahrt zum Flughafen
halb wütend, halb verträumt zurückgelegt. Vielleicht reagierte sie einfach
übertrieben. Vielleicht war ja gar nichts dabei, wenn sie trotz Nicks zahlreicher,
ärgerlicher Eigenschaften und Ansichten ein Verhältnis mit dem attraktivsten Mann
anfing, dem sie seit langer Zeit begegnet war.
Schließlich hatte Sex für sie jahrelang keine besondere Rolle gespielt. Zum Teil war
das Colins Schuld, seine Art zu lieben war höflich und langweilig gewesen. Und zum
Teil lag es daran, daß es in und um Danbury keine große Auswahl an Männern gab.
Der einzige, der nicht zu alt war, war Dulcys jüngerer Bruder, und der war mit seinen vierzehn Jahren wiederum viel zu jung. Wenn man seine sonstigen Nachteile mal
nicht in Betracht zog, dann war Nick Fitzsimmons ein hinreißend gutaussehender
und gefährlich sexy wirkender Mann. Sie sollte sich freuen, daß sie jung und
aufgeschlossen genug war, das zu bemerken.
Aber Sybil bemerkte es nicht nur, sie war auch heftig in Versuchung geführt. Seit sie die doppelte Dosis Liebestrank zu sich genommen hatte, war es von Tag zu Tag
schlimmer geworden. Selbst seine distanzierte Haltung während der letzten zehn
Tage hatte nichts geholfen. Es half auch nichts, vierhundert Meilen vo n ihm
entfernt bei ihrer nicht sehr angenehmen Familie zu sein. Gar nichts half, die
Anziehungskraft nahm immer stärker zu, ob er nun da war, um sie zu schüren oder
nicht. Sie hatte das unbehagliche Gefühl, daß sie seinen Kuß erwidern würde, wenn
er sie das nächste Mal küßte.
Aber das hatte sie ja schon längst getan. Vielleicht ging sie beim nächsten Mal sogar noch einen Schritt weiter. Vielleicht bekam sie ihn nur dadurch aus dem Kopf, wenn
sie der Versuschung endlich nachgab.
Wahrscheinlich aber war sie tatsächlich die Närrin, für die sie sich immer schon
gehalten hatte, wenn sie eine so absurde Möglichkeit überhaupt in Erwägung zog!
Sie erhob sich aus dem wuchtigen Sessel und schaltete das Licht an.
Nick war ganz bestimmt nicht der Typ Mann, mit dem sie den Rest ihres Lebens
verbringen wollte, selbst wenn er so verrückt sein sollte, mit diesem Gedanken zu
spielen. Er ähnelte zu sehr ihrer Familie, er war zu groß, zu gutaussehend, zu begabt, zu intelligent. Den berühmten Charme der Richardsons machte er durch Geist und
Witz wett. Sybil hingegen suchte jedoch eher nach etwas Solidem, Bodenständigem,
nicht wahr?
Aus dem Erdgeschoß ertönte das Klirren von Eis in Gläsern, Lachen und Fetzen
geistreicher Unterhaltung zu ihr hinauf. Ihre Mutter hatte ihr gesagt, es handele sich um eine kleine, vorweihnachtliche Cocktailparty mit nur etwa fünfzig Gästen. Jeder
einzelne dieser fünfzig Gäste würde Sybil Minderwertigkeitskomplexe einjagen, trotz
des hinreißenden türkis-farbenen Seidenkleids, das Hattie ihr mit ihrem unfehlbar
guten Geschmack ausgesucht hatte. Allison wollte bei dieser Party etwas verkünden.
Sie hatte ein großes Geheimnis darum gemacht, aber alle wußten, daß sie seit
einiger Zeit einen Freund in Washington hatte. Man sagte, er sei sehr bedeutend
und einflußreich. Wieder einmal würde eine Richardson eine glänzende Partie
machen.
Auch Sybils eigene Hochzeit war für die Richardsons typisch gewesen. Sie erinnerte
sich daran, als sie den Flur entlangging. Colin hatte mit zweiunddreißig seine eigene Anwaltskanzlei gehabt, war dann ins Bankwesen eingestiegen, hatte Artikel in
der "New York Times" veröffentlicht und war im "Newsweek" erwähnt worden. Ihre Hochzeit, zu der vierhundertfünfundsiebzig geladene Gäste erschienen waren, war
einer der wenigen Momente gewesen, wo Sybil sich wie eine echte Richardson
gefühlt hatte. Und ihr war sehr elend dabei zumute gewesen.
Nun, sie hatte damals jedenfalls ihre Pflicht getan und hatte sogar länger an der Ehe und an Colin festgehalten, als beide es verdient gehabt hätten. Jetzt war sie
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