Tiffany Duo Band 128
wiederholte Lucy. „Das klingt doch gleich viel spannender als ,Investitionen`."
„Und es ist dasselbe", bestätigte John. „Ich setze Geld. Manchmal gewinne ich viel, manchmal verliere ich viel. An manchen Tagen ist das Glück auf meiner Seite, dann wieder habe ich das Gefühl, als hinge eine schwarze Wolke über mir." In letzter Zeit war die schwarze Wolke sein ständiger Begleiter geworden, aber darüber wollte er mit Lucy nicht reden. Mit ihr wollte er vergessen.
„Und was tun Glücksspieler, wenn sie ihren Spaß haben wollen?" Ihre Augen blitzten ihn an.
„Sie gehen auf den Jahrmarkt."
Lucy grinste. Zum Teufel, ihr Grinsen gefiel ihm viel zu gut.
„Und was noch?"
„Ins Kino. Lesen."
Sie neigte den Kopf, und John sah fasziniert zu, wie ihr eine seidige blonde Strähne über die Wange glitt.
„Was lesen Sie denn so?"
„Ach, alles, was mir so in die Hände fällt."
Lucy seufzte, als sie langsam die Geduld mit seinen vagen Antworten verlor. „Okay, wie hieß das Buch, das Sie zuletzt gelesen haben? Nein, lassen Sie mich raten", fuhr sie dann fort, ehe er antworten konnte. „Einen Krimi mit einem betrunkenen Privatdetektiv und seinem schrulligen Assistenten."
Er schüttelte den Kopf.
„Ein leidenschaftlicher Liebesroman", riet sie lächelnd, „in dem sich eine Menge reicher Leute dauernd betrügt und dabei prächtig amüsiert."
Wieder schüttelte John den Kopf. „Sie sind mir vielleicht mal eine Hellseherin. Ich habe gerade den neuesten Horrorschocker von ..." er überlegte, „wie hieß er gleich? Der Kerl, dessen Buch über Vampire neulich erst verfilmt wurde."
„Ach, ich weiß", sagte Lucy, „Sie meinen sein neuestes Buch, das mit dem Werwolf."
„Genau das."
Sie stützte ihr Kinn in die Hände und sah ihn an. „Ich liebe Werwölfe", sagte sie.
Eine seltsame Aussage, aber es schien ihr Ernst zu sein. „Wirklich?"
Lucy nickte. „Als ich klein war, lief jeden Samstag ein Horrorfilm nach den Nachrichten. Nicht die Scheußlichkeiten von heute, sondern diese Schwarzweiß-Klassiker. Frankenstein. Dracula. Der Werwolf. Mein Vater, meine Schwester und ich sind immer lange aufgeblieben, haben uns Popcorn gemacht und den Film im Schlafanzug angesehen."
„Und Ihre Mutter?" fragte John.
Lucy schüttelte den Kopf. „Meine Mutter mochte es nicht, wenn man ihr Angst machte. Sie ist schon aus dem Zimmer gerannt, wenn sie nur die unheimliche Filmmusik vom Vorspann gehört hat."
Sie lächelte das sanfte Lächeln einer Frau, die sich an eine glückliche Kindheit erinnert. Und in dem Moment war Lucy die schönste Frau, die John je gesehen hatte.
Schließlich schreckte sie auf und bestellte sich noch eine Tasse Kaffee. John schüttelte den Kopf. Sie verdankte ihre Energie offenbar dem Koffein.
„Der Werwolf hat mir immer am besten gefallen", fuhr sie fort, als die Kellnerin wieder gegangen war. „Es war sehr traurig, denn er wollte eigentlich ja gar kein Monster werden. Ich meine ..." Sie bewegte den Kopf, und ihre Haare fielen verführerisch über ihre Schultern. „Dracula hat das Ganze eindeutig Spaß gemacht, und mit Frankenstein konnte man sich nur schwer identifizieren, aber der Werwolf ... der Werwolf hat am Ende immer die umgebracht, die er am meisten geliebt hat. Er hatte so einen gequälten Blick." Dann zuckte Lucy zusammen und sah John an. „Sie haben auch solche Augen, John. Die Augen eines Wolfs."
Sie betrachtete ihn, als könnte sie all seine Geheimnisse lesen. Und sie sah ihn an, als wenn sie ihn sehr gut kennen würde und sie schon tausend Nächte so verbracht hätten, mit Reden und Lachen.
Natürlich. In John erwachte wieder der Zyniker. Lucy verstand ihr Handwerk. Sie brauchte ihn nur auf diese Weise anzusehen, und schon war er bereit, ihr alles zu erzählen. Aber natürlich würde er das nicht tun. John versuchte, die Unterhaltung wieder auf unverfängliche Themen zu lenken.
Er überlegte, warum Lucy mitten in der Nacht in diesen Coffeeshop gekommen war. Was wollte sie von ihm? Nun, Hauptsache, sie saß ihm gegenüber und redete mit ihm über Dinge wie das Wetter und die neuesten Kinofilme. Ob sie wohl wusste, wie sehr ihm so eine normale Unterhaltung gut tat?
John zahlte für sie beide und brachte Lucy dann zum Parkplatz. Es war vier Uhr früh und die Straße war menschenleer, nur das Licht einer Laterne hüllte sie ein und gab ihm das Gefühl, dass nur sie beide existierten.
„Ist das Ihr Auto?" Lucy lehnte sich gegen seinen verbeulten alten Ford.
Er nickte.
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