Tiffany Duo Band 128
würde.
Sie schlang die Arme um den Oberkörper. Die meisten kannten sie als Lady Lucretia. In Perücke und Kostüm konnte sie lächeln und eine andere sein - jemand Starkes, der über alles die Kontrolle hatte. John Quaid machte sie wieder zu Lucy. Er nahm ihr die Maske ab, legte ihr Inneres bloß und das sollte ihr eigentlich Angst machen. Aber das tat es nicht.
So kühn war sie nie gewesen - bis heute Nacht. Es war ihr in jenem Moment einfach unerträglich erschienen, nicht von John geküsst zu werden. Doch egal, wie sehr sie sich zu John Quaid hingezogen fühlte, sie konnte sich unmöglich mit ihm einlassen.
Nach fünf Jahren, in denen sie vorsichtig und distanziert gewesen war, fühlte sie sich erstmals wieder verletzlich, und alles wegen eines Kusses. Dafür sollte sie John Quaid hassen ... aber sie tat es nicht.
Ach, was machte sie sich groß Gedanken. In ein paar Tagen würde der Jahrmarkt die Stadt verlassen und John wäre nur noch eine schöne Erinnerung. Davon hatte sie viel zu wenige.
Es war viel zu heiß, um zu joggen, aber das konnte John nicht aufhalten. Die Nachmittagssonne schien brennend auf ihn hinunter, und bald waren sein T-Shirt und die Shorts schweißdurchtränkt. In Momenten wie diesen konnte er das Desaster der vergangenen acht Monate am ehesten vergessen. Als er das Auto hinter sich hörte, lief er zum Straßenrand, um den Wagen vorbeizulassen. Doch er fuhr nicht vorbei. Mit einem gemurmelten Fluch blieb John stehen und drehte sich um.
Hinter ihm hielt ein Streifenwagen. Lonnie Philips saß hinter dem Lenkrad, und als er Johns Blick begegnete, lächelte er breit und parkte den Wagen.
„Guten Tag, Quaid", grüßte er mit übertriebener Freundlichkeit.
„Lonnie", erwiderte John zurückhaltend. „Was willst du?"
Er stieg aus und lehnte sich an die Kühlerhaube. „Du gehörst nicht mehr zu uns, und solange ich im Dienst bin, erwarte ich, dass du mich Deputy Philips nennst. Zeig mal ein bisschen Respekt für deine ehemaligen Kollegen, Quaid."
Lonnie Philips verdiente keinen Respekt. „Was willst du?"
„Ich will nur, dass du weißt, dass ich ein Auge auf dich habe", sagte er.
„Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass ich dadurch besser schlafe, Deputy Philips", erwiderte John mit kaum verhohlenem Sarkasmus.
„Ich staune, dass du überhaupt schlafen kannst", konterte der Deputy.
John ließ es nicht zu, dass Lonnie ihn provozierte. Es war ihm klar, dass Philips ihn nur zu gerne wegen Angriffs auf die Staatsgewalt über Nacht in eine Zelle stecken würde. Die beiden hatten sich nie besonders gut verstanden. Lonnie hatte es nie verwunden, dass man damals John zum ersten Stellvertreter des Sheriffs ernannt hatte und nicht ihn.
„Sonst noch was, Deputy Philips?" fragte John gleichgültig.
„Ich denke nicht." Lonnie machte keine Anstalten, wieder ins Auto zu steigen.
John wandte Lonnie den Rücken zu und joggte davon.
3
Die Scheinwerfer waren gedimmt und die bunte Beleuchtung an den Karussells ganz abgeschaltet worden. Lucy ging rasch über den Jahrmarkt.
Es war niemand zu sehen, als sie zwischen den Ständen entlangging und dem Wohnwagen zustrebte, den sie Zuhause nannte. Einige solcher verbeulter Wagen standen dicht nebeneinander, und selbst die Dunkelheit konnte nicht verhehlen, dass sie schon bessere Tage gesehen hatten.
Dennoch mochte Lucy die Atmosphäre, die hier herrschte. Sie sah den Mond, die Sterne, Straßenlaternen und die Lichter der kleinen Stadt, was ihre Angst vor der Dunkelheit erheblich milderte. Und sie liebte die frische Luft. In geschlossenen Räumen hatte sie immer das Gefühl, nicht atmen zu können. Als ob mir jemand den Hals zudrückte . Sie atmete tief durch und verscheuchte den unangenehmen Gedanken.
Sie musste zugeben, dass sie ein wenig nervös war. Was war nur los mit ihr? Empfand sie etwa Vorfreude, John wieder zu sehen? Wie dumm von ihr. Sie kannte diesen Mann längst nicht gut genug, um seinetwegen überhaupt irgendetwas zu empfinden. Andererseits war sie eine gute Menschenkennerin und vertraute John mehr, als sie es seit sehr langer Zeit bei einem Mann zugelassen hatte. Hatte sie sich des halb heute erneut mit ihm verabredet?
Wenn man Lucy über ihren Job auf dem Jahrmarkt ansprach, sagte sie immer, sie sorge einfach für Unterhaltung. Als Betrügerin sah sie sich nicht. Eher als eine Geschichtenerzählerin, die ihren Kunden ein wenig Hoffnung mit auf den Weg gab. Hoffnung, die sie für sich selbst schon lange nicht mehr hatte.
Und
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