Tiffany Duo Band 77
einzutreten und tastete nach dem Lichtschalter.
„Ist es dir wirklich nicht zu viel?"
„Nein." Sie waren durch den Flur gegangen und hatten nun ein recht spartanisch möbliertes Wohnzimmer erreicht. Sie sahen sich um. „Er hat sein Haus vor ein paar Jahren verkauft. Dies hier war eigentlich nur noch so etwas wie ein Schlafplatz", erklärte Shelly, während Brian den Raum durchquerte und zu einem Schreibtisch ging, der an der Wand stand. Er war unverschlossen und barg Stapel von Briefen und Papieren. Zwei der Schubladen jedoch ließen sich nicht öffnen.
„Laß mal sehen, ob einer der Schlüssel, die an dem Schlüsselbund sind, paßt."
„Okay."
Shelly probierte alle sechs durch. Nein, der richtige war nicht dabei. Vielleicht befand er sich ja hier irgendwo in der Wohnung. Sie spürte Widerwillen bei dem Gedanken, jetzt Charlies persönlichste Sachen durchstöbern zu müssen.
Ihr fiel wieder ein, wie schmerzhaft es für sie gewesen war, die Hinterlassenschaft ihres Vaters zu ordnen, bei jedem Gegenstand, den sie in die Hand genommen hatte, mußte sie daran denken, daß auch er ihn Hunderte von Malen angefaßt hatte. All die Schachteln und Schubladen bargen so vielfältige Erinnerungen, daß sie sie zu überwältigen drohten.
Und jetzt hatte Charlie darum gebeten, daß sie dasselbe für ihn tat.
Nein, sie war sich nicht sicher, ob sie es durchstehen würde. Das Haus unerledigterweise wieder zu verlassen, kam allerdings ebensowenig in Frage. Charlie hatte auf sie gezählt, und sie wollte ihn nicht enttäuschen, auch jetzt nicht, wo er nicht mehr am Leben war. Es war das letzte, was sie für ihn tun konnte.
Entschlossen zog sie die mittlere Schreibtischschublade auf. Büroklammern Stifte, Gummiringe, ein Füller, ein Locher, alles mögliche, nur keine Schlüssel.
Rasch schob sie sie wieder zu. Sie fröstelte und überlegte, ob es hier wirklich so kalt war, oder ob die Kälte, die sie verspürte, von innen kam.
„Hast du die Schubladen auf?" fragte Brian, als er zurück ins Zimmer kam. Er war hinausgegangen, um nach einem Karton zu suchen, in dem sie die Papiere, die sie vorgefunden hatten, transportieren konnten.
„Nein. Vielleicht sind die Schlüssel im Büro.”
Brian verpackte die Unterlagen in einer großen Schachtel.
„So ein Mist", brummte er, nachdem er fertig war, und rüttelte noch einmal an den versperrten Schubladen. „Komisch. Er hat doch allein gelebt. Warum zum Teufel sollte er in seinem eigenen Haus seinen Schreibtisch abschließen?"
„Keine Ahnung. Vielleicht aus alter Gewohnheit?"
Brians Blick sagte ihr, daß er das bezweifelte.
„Er war ein guter Mensch, Brian."
„Ich weiß, aber auch gute Menschen geraten manchmal in böse Situationen."
„Wie wäre es mit einem Kaffee?" fragte Brian später in Shellys Apartment. Er stellte die Kiste mit den Papieren auf den Wohnzimmertisch, zog dann seinen Regenmantel aus und lockerte die Krawatte.
Shelly wurde schlagartig klar, daß es ein harter Kampf werden würde, ihn heute nacht loszuwerden.
„Ich bin wirklich hundemüde, Brian." Sie war ihm nicht ins Zimmer nachgekommen, sondern stand noch immer bei der Tür in der stillen Hoffnung, daß er den stummen Hinweis verstehen und sich gleich verabschieden würde. Doch er dachte anscheinend überhaupt nicht daran. Wenn es ihm in den Kram paßte, konnte er wirklich unglaublich stur sein.
„Wenn du müde bist, setz dich einfach hin", riet er ihr. „Ich werde Kaffee machen, du kannst dich solange etwas ausruhen."
Ihr war klar, daß er sie absichtlich falsch verstand. Großer Gott, wo sollte sie denn heute noch die Kraft hernehmen, ihm standzuhalten?
Und nachdem sie sich dann widerwillig doch hingesetzt hatte, er kannte sie voller Entsetzen noch eine zweite Sache. Charlie Williams hatte durch seinen Letzten Willen das Leben von Brian mit dem ihren für die nächsten Monate verknüpft. Sie würde viel enger mit ihm zusammenarbeiten als bisher, und sie würden beide Seite an Seite versuchen müssen, von Charlies Vermögen zu retten, was zu retten war, schon allein um Marions willen.
Sie, Shelly, hatte damit gerechnet, die Stadt in den nächsten Wochen verlassen zu können. Am Dienstag hatte sie auf einige Stellenanzeigen geantwortet und war sich sicher gewesen, daß sich irgend etwas ergeben würde. Und selbst wenn nicht, war sie schon so gut wie entschlossen gewesen, die Stelle bei Williams Engineering aufzugeben und erst einmal von ihren Ersparnissen zu leben. Sie waren zwar nicht
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