Tiffany
würde, sie zu belästigen. Sie hängte ihre Jacke in einem Abstellraum auf, zog die Gummistiefel aus und schlüpfte in ausgetretene Slipper, bevor sie mich in die Küche führte. Eine Anrichte mit grauer Marmorplatte, Töpfe, Pfannen und getrocknete Kräuter, aber auch vier Chippendale-Stühle rund um einen französischen Mittelfußtisch aus dem sechzehnten Jahrhundert.
Die Baronin blieb stehen und warf einen Holzscheit in einen weißen Emailleofen. Sie hatte kleine Hände, auf denen die Adern hervortraten. Sie trug weder Ringe noch anderen Schmuck, und der Schal im Ausschnitt ihres grauen Wollkleides schien das einzige Zugeständnis an ihre Eitelkeit zu sein. Ich erkannte, dass sie sich hier zu Hause fühle, genauso selbstverständlich wie früher im Schloss. Wahrscheinlich würde sie sich überall zu Hause fühlen, weil jede Umgebung sich ihr anpassen würde anstatt anders herum. Das Haus strahlte eine anheimelnde und gemütliche Atmosphäre aus, wobei es durch das Sammelsurium wertvoller, antiker Möbel auch etwas Extravagantes besaß: Stühle im Régence-Stil mit passendem Hocker, ein verschlissenes Berliner Sofa mit Samtkissen vor einem kleinen Kamin, ein mit Briefen und Papieren überhäufter Sekretär, auf dem auch ein elfenbeinfarbenes Telefon stand, alte Familienporträts und ein edler Wandteppich, ein holländischer Porzellanschrank voller Bücher anstatt Porzellan, und überall Grünpflanzen. Ein winziger Veilchenstrauß zierte den niedrigen Salontisch aus Rosenholz.
»Nehmen Sie Zucker in den Tee?«, fragte sie, als ich auf dem Sofa Platz genommen hatte. Sie bemerkte, wie ich mich umschaute und sagte: »Ein paar Dinge habe ich aus dem Haus mitgenommen, aber das meiste war natürlich zu groß. Ich bekomme nicht oft Besuch.« Sie schob mir eine Porzellanschale mit Pralinen zu. »Greifen Sie ruhig zu.«
»Gehörte Jan van Nunen zu Ihren wenigen Besuchern?«
»Ich glaube, zuerst sind Sie mir eine Erklärung schuldig«, erwiderte sie ein wenig kühl.
»Selbstverständlich.« Ich erzählte ihr, dass Jan van Nunen Beweise über Kriegsverbrechen in Bosnien gesammelt hatte, an denen ein niederländischer Offizier beteiligt gewesen war, dass Zeugen beseitigt worden waren und dass ich im Auftrag von Jans Vater ermittelte.
Der Gesichtsausdruck der Baronin veränderte sich, als sie begriff, worauf ich hinauswollte. »Meinen Sie, dass Jans Tod kein Unfall war?«
»Er hatte sein Beweismaterial auf einer Diskette gespeichert und ein Treffen mit einem Journalisten vereinbart. In der Nacht, bevor dieses Treffen stattfinden sollte, brannte sein Wohnwagen aus.«
»Mon Dieu.« Ihre Augen wurden feucht. Sie saß aufrecht in ihrem Sessel, die Hände auf dem Schoß gefaltet. »Ich fürchte, dass ich dafür mitverantwortlich bin.«
»Jans Vater konnte kaum glauben, dass sein Sohn genügend Energie aufgebracht hatte, um Verbrecher anzuprangern«, sagte ich, als sie erneut schwieg. »Aber warum sollten Sie für irgendetwas verantwortlich sein?«
Sie tupfte sich mit einem Taschentuch den Kummer aus den Augen. »Er nannte mich die Fuchsfrau«, begann sie. »Er hatte seinen Wohnwagen einfach in meinen Wald gestellt, ohne dass ich etwas davon wusste. Mir fiel nur auf, dass öfter einmal jemand auf dem alten Hochsitz saß. Aber er tat nichts Unrechtes, die Tiere fühlten sich von ihm nicht gestört, und deshalb ließ ich die Sache auf sich beruhen. Manchmal spürt man einfach, wenn Menschen alleine gelassen werden wollen. Einmal, als er wohl dachte, dass ich schon weg sei, sah ich, wie er von dem Hochsitz herunterstieg und den Füchsen meine Essensreste wegnahm. Daraufhin brachte ich jedes Mal ein paar Butterbrote für ihn mit, in einer alten Einkaufstasche, die ich an einen Baum hängte, damit die Füchse nicht daran kamen. Am nächsten Tag war die Tasche dann leer. Er war genau wie die Füchse, er musste sich langsam an mich gewöhnen. Nach einer Woche beschloss ich, einfach auf ihn zu warten. Da kam er endlich aus seinem Schneckenhaus heraus.«
»Sind Sie in seinem Wohnwagen gewesen?«
»Nur ein einziges Mal. Da habe ich zu ihm gesagt, er solle mich doch einfach hin und wieder besuchen kommen, dann könne er zumindest mal in die Badewanne. Anfangs war er sehr … weltfremd. Aber er war ein lieber Junge, er hatte nichts Böses an sich.«
Ich versuchte, mir die noble kleine Dame mit dem Aussteiger vorzustellen und dachte daran, dass auch ihr Sohn ein Aussteiger gewesen war, in Paris an Aids gestorben. Ich fragte: »Er
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