Tiffany
Bäumen hindurch in Richtung auf das Geräusch zu, auf einem kaum sichtbaren, schmalen Pfad, der von Jan van Nunen, aber auch von Hirschen oder Kaninchen hätte stammen können. Ich erreichte den Waldrand. Eine offene, mit Heidekraut, niedrigen Sträuchern und gelblichen Helmgras-Pollen bewachsene Lichtung erstreckte sich hundert Meter breit vor meinem Standort aus bis hinüber zu dem nächsten Waldstück mit dicht an dicht stehenden Fichten. Wieder hörte ich den Pfiff, diesmal links von mir. Ich suchte mit meinem Fernglas den Waldrand ab. In der Ferne erkannte ich einen verfallenen Hochsitz zwischen dem Grün der Fichten und Tannen, doch die Bewegung, die ich schließlich ausmachte, war mehr in meiner Nähe, auf der Lichtung.
Ein Hund, dachte ich, aber als das Tier verstohlen hinter einem Brombeerbusch hervorschlich, erkannte ich, dass es ein Fuchs war. Er hatte ein dickes, rotgelbes, am Bauch etwas helleres Fell, eine weiße Schnauze, und sein Schwanzfell glänzte silbrig. Wahrscheinlich floss in seinen Adern, ebenso wie in denen zahlreicher seiner Artgenossen, das Blut von aus Pelzfarmen entlaufenen Silberfüchsen. Das Tier blieb stehen und blickte sich um, als warte es auf etwas, und dann erschien ein zweiter Fuchs neben ihm, dicker und mit dunklerem Fell, eine trächtige Fähe.
Wieder ertönte das Pfeifen, leiser als vorher, und nun entdeckte ich unter einem Baum an der Grenze zwischen Wald und Lichtung eine in einen grauen Regenmantel gehüllte Gestalt. Der erste Fuchs machte sich auf den Weg, offensichtlich weniger scheu als sein Weibchen, das ihm zögernd folgte und dann und wann stehen blieb, als traue sie dem Frieden nicht so recht.
Als ich mein Fernglas scharf einstellte, erkannte ich die alte Frau vom Friedhof wieder. Sie bewegte die Lippen, als rede sie mit den Füchsen. Ich war zu weit entfernt, um ihr Flüstern verstehen zu können, aber das Männchen kam so nahe an sie heran, dass sie es hätte berühren kön nen. Stattdessen fasste sie in einen Leinenbeutel und fing an, dem Fuchs aus der Hand Brotstückchen zu füttern. Einige Stücke warf sie über ihn hinweg seinem Weibchen zu.
Die Frau war klein und hatte ein faltiges Gesicht mit wettergegerbtem Teint. Sie trug Gummistiefel, einen braunen Schal um den Hals und ein schwarzes, französi sches Barett auf ihrem weißen Haar, das verwegen bis auf den Kragen ihrer Jacke hing.
Ich lief am Waldrand entlang in ihre Richtung, so leise wie möglich, um die Füchse nicht zu erschrecken. Doch die Tiere hörten mich natürlich schon aus fünfzig Metern Entfernung und ergriffen geräuschlos die Flucht.
Die Frau schaute sich ärgerlich nach der Ursache der Störung um. Ich ging auf sie zu, bevor sie sich ebenso wie die Füchse in Luft auflösen konnte. »Entschuldigen Sie, es war nicht meine Absicht, Ihre Freunde zu verscheuchen.«
Sie wirkte keineswegs ängstlich, sondern lediglich em pört. Ihr Seidenschal fiel vorne ein wenig auseinander, und ich erkannte die Spuren alter Narben an ihrem Hals. »Sie befinden sich auf einem Privatgrundstück«, sagte sie. »Es ist nicht zugänglich für die Öffentlichkeit.«
Sie sprach mit dem Timbre einer verstimmten Adligen, und die Worte »die Öffentlichkeit« in ihrem etwas merkwürdigen Schlusssatz hatten geklungen, als meine sie damit »meine Untertanen«. Ich zweifelte keine Sekunde lang daran, das dies die verarmte Baronin sein musste.
»Ich bin wegen Jan van Nunen hier.«
Ihre blauen Augen hatten mich längst erkannt. Sie sagte nichts, sondern schaute mich nur abwartend an, als könne man von ihr nicht erwarten, sich auf eine Konversation mit Untertanen einzulassen, die sich nicht formvollendet vorgestellt hatten. »Mein Name ist Max Winter«, sagte ich. »Ich führe Ermittlungen durch, um die Umstände des Todes von Jan van Nunen zu rekonstruieren. Aus diesem Grund würde ich gerne mit Ihnen reden, wenn Sie einen Moment Zeit für mich hätten. Leider weiß ich nicht, wie man eine Baronin korrekt anspricht.«
Letzteres entlockte ihr ein kleines Lächeln. »Mevrouw reicht völlig aus. Ich bin Claire van Wienum.« Sie nahm die Tasche mit dem Futter in die linke Hand und reichte mir ihre rechte. »Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten? Falls Ihnen der Fußmarsch bis zu mir nach Hause nicht zu weit ist.« Ihr Händedruck war federleicht; kräftige Händedrücke waren wahrscheinlich eher etwas für gewöhnliche Sterbliche, die sich beweisen und abrackern mussten.
»Mein Auto steht hier ganz in der
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