Tiffany
Nähe.«
»Oh.« Ein Schatten glitt über ihr Gesicht, vielleicht aus Ärger darüber, dass ich nicht nur zu Fuß, sondern gar mit einem Automobil in ihren Privatbereich eingedrungen war. »Nun gut.«
Sie nickte energisch und ging mir voraus. »Lassen Sie uns die Stelle umgehen, an der das mit dem armen Jungen passiert ist. Ich meide sie nach Möglichkeit. Hier entlang.«
»Ich wusste gar nicht, dass Füchse so zahm werden«, begann ich, während wir einem einigermaßen gangbaren Weg folgten. Die Baronin schritt aus, als wäre sie keine sechzig, sondern sechzehn Jahre alt. Sie reichte mir kaum bis an die Schulter.
»Sie sind nicht zahm. Sie sind an mich gewöhnt. Man kann sie nicht als Haustiere halten, weil sie aus ihren Drüsen an der Schwanzwurzel einen üblen Geruch absondern.«
Richtig. »Ich dachte, Füchse würden sich vor allem von gestohlenen Hühnern ernähren?«
Ich erntete ein kleines Lächeln. Sie hatte Sinn für Hu mor. »Füchse fressen alles, Beeren, Pilze, Brot, all meine Essensreste. Sie sind nicht wählerisch. Im Winter kommen sie bis an mein Haus. Dieses Pärchen haust in einem Dachsbau; die ursprünglichen Bewohner haben sie ver trieben. So ist die Natur.«
Wir kamen bei dem Informationsstein der Verkehrswacht an der Borghlaan heraus und marschierten die hundert Meter Teerstraße zurück bis zu meinem Auto. Dass dieses ziemlich ungewaschen und rostig war, schien sie nicht abzuschrecken.
Ich hielt ihr die Tür auf. Sie war eine Dame, für die man sich an altmodische Gesten der Höflichkeit erinnerte. Sie bewegte sich mit der selbstverständlichen Eleganz ihrer altadeligen Herkunft, auch wenn sie in ihrem abgewetz ten grauen Mantel und dem schwarzen Barett eher aussah wie eine Pariser Stadtstreicherin, die unter den Seine-Brücken schlief. Während sie einstieg, legte sie eine Hand auf den Schal, als wolle sie die Narben an ihrem Hals verbergen.
»Fahren Sie bitte langsamer«, sagte sie, als wir die Stra ße entlangfuhren, die rund um das Gut verlief. Gehorsam verringerte ich die Geschwindigkeit, obwohl wir uns kaum schneller fortbewegten als eine Kutsche mit einem ziemlich alten Pferd davor.
»Ich fahre nicht mehr so gerne Auto«, erklärte die Ba ronin. »Wir hatten in Belgien einen Unfall. Mein Mann ist in einem Krankenhaus in Lüttich gestorben.« Wieder fasste sie mit der Hand an ihren Schal. »Aber das ist schon lange her. Hier müssen Sie links abbiegen, dort ist die Einfahrt.«
Die schmiedeeisernen Tore standen offen. Sie waren gut in Schuss, glänzend schwarz gestrichen und mit ver goldeten Speerspitzen darauf. Das Schlösschen am Ende der von Buchen gesäumten Einfahrt war umgeben von üppigen Rasenflächen. Es war ein verwinkeltes Gebäude mit einem niedrigen, runden Turm und blauweiß gestreif ten, eingerollten Markisen in weiß gestrichenen Kästen über allen Fenstern. Es gab Terrassen mit Steinbalustraden und einen von germanischen Jagdgöttinnen und grie chischen Heroen umgebenen Marmorbrunnen.
Die Baronin würdigte es keines Blickes. Sie zeigte auf eine kleine Straße, die auf halbem Wege von der Einfahrt abging. Ein alter Mann harkte Blätter zu einem Haufen zusammen und drehte sich um, als er das Auto hörte. Er ging ein paar Schritte auf die Auffahrt zu und erkannte die Baronin, die ihm freundlich zunickte. Zu meiner Verwunderung zog der Mann die Mütze vom Kopf und hielt sie sich ehrerbietig vor die Brust, als wir an ihm vorbeifuhren.
»Das ist Johan. Schon sein Vater hat für meine Familie gearbeitet«, sagte die Baronin. »Ich war gezwungen, das Haus an einen Unternehmer aus Rotterdam zu vermieten. Er hat diese Statuen rund um den Brunnen aufgestellt und diese komischen Markisen angebracht. Nun ja. Um die Wälder kümmern sie sich nicht. Johan hilft mir in seiner Freizeit im Garten. Sie können Ihren Wagen hier abstellen. In diesem Haus hat früher der Jagdaufseher gewohnt.«
Es war kleines Haus aus verwitterten roten Backsteinen, mit grünweiß gestrichenen Fensterläden und bis zur Regenrinne hochwucherndem Efeu. Ringsum standen Bäume, Fichten, einige Zypressen, knospende Obstbäume. Hühner scharrten in einem kleinen Auslauf, und es gab einen mit Kaninchendraht eingezäunten Gemüsegarten, in dem Johan offensichtlich bereits mit den Frühjahrs-Umgrabearbeiten begonnen hatte.
Die Baronin nahm mich mit zu einer Hintertür, die nicht abgeschlossen war. Sie schien der Typ zu sein, der niemals abschloss, weil sie davon ausging, dass ein Einbrecher nie wagen
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