Tiffany
hast eine gute Erziehung genossen, du bist zur Schule gegangen. Hattest du eine Arbeitsstelle? Ich meine eine richtige Arbeit, bevor du beschlossen hast, eine drogensüchtige Prostituierte zu werden?« Ich sah, dass mein Sarkasmus sie verletzte, aber das war mir egal. »Ich weiß nicht das Geringste über dich. Wo kommst du her?«
»Du kannst mich mal.«
»Irgendwann wirst du mit mir reden müssen.«
Sie legte ihr Besteck quer auf den Teller. Ihr Abwehrpanzer hatte sich wieder lückenlos geschlossen, aber diesmal verzichtete sie auf vulgäre Ausbrüche. »Hast du nicht gesagt, es gäbe Eis zum Nachtisch?«
»Du hast mir noch nicht geantwortet.«
Herausfordernd erwiderte sie meinen Blick. Was immer auch die Tabletten enthalten mochten, müde wurde man davon offensichtlich nicht. »Ist es im Gefrierfach?«
Ich seufzte und ließ sie gewähren. Ich hörte eine Styropor-Verpackung brechen, die Küchenschublade auf- und zugehen, Keramikschüsseln und Löffel klappern. Es war eine absurde Situation. Ich vermisste Marga, was an der Umgebung liegen mochte oder daran, dass ihre Probleme übersichtlicher gewesen waren. Ich stand auf und warf einen Holzscheit ins Feuer.
Als ich mich aufrichtete, sah ich, dass Tiffany regungslos über die Anrichte gebeugt dastand. Ihr Haar fiel ihr über die Wangen, und sie schien das Eis anzustarren. Wieder wurde ich von dem Gefühl ergriffen, dass sie eine völlig Fremde war, ein bizarres und unverständliches Geschöpf von einem anderen Planeten. Sie passte nicht in dieses Haus, sie war nicht eingeladen, ja noch nicht einmal willkommen. Ich fing an, ihre Art zu hassen, wie sie Versteck spielte und mich mit Bröckchen von PseudoBildung an der Nase herumführte, die jeder Papagei oder Orang-Utan aufgeschnappt haben könnte. Oder eine Hure mit einem italienischen Freier. Ti voglio tanto bene. Ich habe dich gern. Sie blickte zur Seite, als spüre sie meine feindseligen Gedanken. Sie lächelte gezwungen, nahm die beiden Schüsselchen mit Eis und trug sie an den Tisch. Vanille und Pistazie. Ich blieb stehen. Sie fing an, von dem Eis zu essen.
»Tiffany, oder wie immer du auch heißen magst«, sagte ich. »Du hast eine Dummheit gemacht, und jetzt verlangst du von mir, dass ich dir aus der Patsche helfe, aber andererseits weigerst du dich …«
Sie unterbrach mich. »Ich verlange gar nichts von dir. Sag mir, wo die nächste Bushaltestelle ist, und ich fahre zurück nach Amsterdam.«
»Du kannst nicht zurück nach Amsterdam.«
Ihre Kiefermuskeln arbeiteten. »Und wieso nicht?«
»Erstens, weil du von der Polizei gesucht wirst. Oder hast du Fleur etwa schon vergessen?«
Sie schluckte die Beleidigung. »Nein, ich habe Fleur nicht vergessen.« Tränen traten ihr in die Augen, obwohl ich mir nicht sicher war, ob sie echt waren.
»Niemand weiß, wo du dich zu dem Zeitpunkt aufgehalten hast, als sie ermordet wurde. Du bist die Hauptverdächtige.«
»Ich habe sie nicht ermordet. Sie war meine Freundin.«
»Dafür hat sie den höchstmöglichen Preis bezahlt.« Ich wollte sie wachrütteln und wach halten.
Sie schob das Eis von sich weg, legte die Stirn auf den Tisch und schlug die Hände um den Kopf. Ihre Schultern zuckten, aber das einzige Geräusch kam von ihren Füßen, mit denen sie auf den Boden trappelte.
Ich fasste sie nicht an. Ich dachte an meine Vergangenheit und die Tricks bei den Verhören. Manchmal ergab sich eine Entwicklung, die man nicht unterbrechen durfte, selbst wenn der Verdächtige drohte, einen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Sie musste schon lange begriffen haben, dass sie am Tod von Fleur indirekt mitschuldig war, doch die Mitleid erregende Art, in der sie versuchte, sich in die Tischplatte zu verkriechen, vermittelte mir das Gefühl, dass mehr dahinter steckte als nur die Sache mit Fleur. »Wer ist die Frau auf dem Foto?«
Diesmal blieb die heftige Reaktion aus. Sie hob ihr Gesicht ein wenig, es war kreidebleich und nass. »Bitte«, flüsterte sie. »Lass mich in Ruhe.«
Ich nickte. »War Fleur ihr richtiger Name? Wie hieß sie mit Nachnamen? Wo kam sie her?«
»Sie hieß Fleur … Fleur Dalis. Sie war neunzehn und stammte aus Hengelo.«
»Aber dein richtiger Name ist doch nicht Tiffany.«
Ich erkannte, dass mein Versuch sie enttäuschte, als zerstöre ich damit den ersten zarten Keim von Vertrauen. »Ich heiße Tiffany«, behauptete sie. »Misch dich gefälligst nicht in mein Leben ein.«
Ich war kein Psychiater. Therapieren musste sie ein anderer. Außerdem
Weitere Kostenlose Bücher