Tiffany
musste wach gelegen, sich herumgewälzt und womöglich eine riskante Entscheidung getroffen haben.
Nina erwartete mich mit Kaffee und las mir einen Zettel vor. »Lieber Max, vielen Dank für alles, bitte nicht böse sein. Mach dir keine Sorgen. Ich melde mich.«
»Mist«, sagte ich.
»Was ist denn passiert?«
Ich schaute auf die Uhr. Viertel vor neun. »Sie brauchte nur die Straße hinunterzugehen, um zur nächsten Bushaltestelle zu kommen, und der erste Bus nach Amsterdam fährt um halb sechs.«
»Das habe ich mir schon gedacht, und das wollte ich auch gar nicht wissen.«
-Ich erzählte ihr, was ich herausgefunden hatte. Nina hörte voller Entsetzen zu.
»Logisch, dass sie völlig außer sich ist«, sagte sie schließlich.
»Außer sich genug, um wieder Heroin zu drücken?«
Ich dachte an andere Reaktionen, Nina natürlich auch.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Es ging ihr gut, sie könnte es schaffen, die Finger davon zu lassen, genügend Willenskraft besitzt sie ja. Sie würde es sogar ohne Medikamente schaffen. Ihre Wut könnte ihr immerhin helfen, der Versuchung zu widerstehen. Vielleicht hilft sie ihr sogar dabei, die quälende Vorstellung zu überwinden, für immer beschmutzt zu sein. So etwas hat sie doch gesagt?«
»Ja, und das hat sich ziemlich verzweifelt angehört.«
»Wirst du ihre Familie informieren, beziehungsweise sie warnen?«
»Sie wurde ziemlich böse, als ich ihr das vorschlug.«
»Dann würde ich es sein lassen. Sie wird schon niemanden umbringen, und wenn du dich jetzt einmischen würdest, würde sie das als einen Mangel an Vertrauen interpretieren. Wie dem auch sei, sie muss lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Wenn ihr das mithilfe ihrer Wut gelingt und sie es fertig bringt, diese Geschichte aus eigener Kraft zu überstehen, hat sie es geschafft.«
»Inwiefern?«
»Sie hat Schäden erlitten, und zwar bleibende Schäden. Normalerweise ist Erfahrung ein Heilmittel, das erst wirkt, wenn die Krankheit schon überstanden ist, aber für Tiffany könnten ihre Erfahrungen vielleicht jetzt schon hilfreich sein. Ich habe ja selbst erlebt, wie dieses Rabenaas von einem Gör innerhalb kürzester Zeit wieder zur Vernunft gekommen ist. Von Anfang an habe ich gespürt, dass sie stark ist. Ich glaube auch jetzt an sie, und du solltest das auch tun.«
Nina brach fünf Minuten später auf, während ich noch beim Frühstück saß. Plötzlich herrschte in Margas Bauernhof eine fast feindliche Stille. Kein Gepolter auf der Treppe, kein Geschrei und kein Gekotze, aber auch keine Tränen aus traurigen Augen mehr, kein schelmisches Lächeln, keine Finger in der Nacht, kein Pot-au-feu.
Ich hinterließ eine Nachricht für Tiffany, für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie zurückkommen sollte, und ergriff so schnell wie möglich die Flucht. Ich fuhr bei meiner Amsterdamer Wohnung vorbei, um die Post durchzusehen und frische Kleidung anzuziehen. Ich sah ein paar Leute im Maklerbüro, aber mein Vermieter befand sich nicht darunter. Wahrscheinlich war er gerade dabei, in Sibirien eine geeignete Bleibe für mich zu suchen.
Zwischen den Werbebroschüren, Rechnungen und Kontoauszügen fand ich einen dicken Umschlag von Fred Brendel, in dem sich Zeitungsausschnitte, Computerausdrucke und ein Brief von ihm befanden:
Habe ein paar Recherchen für das angeforderte Profil vom General angestellt. Anbei auch ein Zeitungsartikel über den bosnisch-serbischen Asylbewerber Zeljko Deronic, Restaurantbesitzer in Haarlem, der spurlos ver schwunden ist, als ihn die Staatsanwaltschaft Arnheim auf einen Tipp hin in die Zange nehmen wollte. Außerdem habe ich auf einem extra Blatt meine eige nen, inoffiziellen Schlussfolgerungen notiert. Sie basie ren auf Informationen, die ich von einem Polizisten in Aalsmeer und einer Kontaktperson am Obersten Ge richtshof erhalten habe. Diese könnten das Kapitel »Protektion von Kriegsverbrechern« betreffen, das mein unbekannter Soldat angesprochen hat. Bei meinen Nachforschungen bin ich jedoch auf keinerlei Anhalts punkte dafür gestoßen, dass Grimshave persönlich Kriegsverbrechen begangen hat.
Ich möchte dich an dein Versprechen erinnern, dass ich alles als Erster erfahre, bevor es die ganze Meute auf der Pressekonferenz hört. FRED
P. S.: Ich gebe es nur ungern zu, aber du hattest Recht mit deiner Vermutung, dass es bei uns ein Leck gibt. Ich habe mich mal diskret umgehört: Mein Chefredak teur hat unserem Direktor von meiner Verabredung mit einem Dutchbat-Soldaten
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