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Tiffany

Tiffany

Titel: Tiffany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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Geschichte. Erst schien es, als würde sie das alles gar nicht richtig begreifen, aber ich sah, wie sich ihr Gesichtsausdruck veränderte. Ihre Anspannung verwandelte sich in Argwohn und schließlich in Wut. Peinlich berührt starrte sie auf ihre Knie, als ich ihr von meiner Begegnung mit ihrem Vater berichtete.
    Ich sagte ihr nicht, dass ich wusste, dass ihre Stiefmutter sich Tiffany nannte. Jeglicher Versuch, mich als Amateur-Therapeut zu betätigen, schien mir unangebracht, jedenfalls in diesem Augenblick. Außerdem gab es für mich nur eine Tiffany: die unglückliche kleine Heroinhure, die ich von der Straße aufgelesen hatte. Ich konnte an sie nur als Tiffany denken.
    »Ich verstehe das nicht«, sagte sie schließlich.
    Sie würde schon noch begreifen, dass sie die ganze Zeit für nichts und wieder nichts in der Hölle geschmort hatte. Das war das Schlimmste, all die verlorenen Jahre und die dauerhaften seelischen Verletzungen, die ihr durch das Zusammentreffen schicksalhafter und dummer Umstände, durch den Tod ihrer Mutter, durch diesen Schlappschwanz von triebbesessenem Vater und eine verrückte Serviererin zugefügt worden waren. Es erschien mir einfacher, einen Krieg zu akzeptieren, eine Hochwasserkatastrophe oder eine Überflutung als so viele willkürliche Unsinnigkeiten.
    »Das liegt daran, dass deine Stiefmutter nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, und Verrückte sind nun einmal schwer zu verstehen«, sagte ich. »Manche Menschen sind geistig so gestört, dass sie nur noch in ihrer Fantasiewelt leben und die Wirklichkeit keinen Einfluss mehr auf sie hat. Das ist Wahnsinn. Ein Teil von ihr wusste, dass sie nicht schwanger werden konnte, aber ein anderer, stärkerer Teil war sich sicher, dass sie doch fähig war, Kinder zu bekommen. Dirk hat das irgendwann begriffen, und genau das meinte er damit, als er sagte, sie sei völlig durchgeknallt.«
    »Könnte es sein, dass er sich irrt?«, fragte sie zaghaft.
    »Ich bekomme die Beweise bald schwarz auf weiß.« Unterwegs hatte ich René angerufen, ihm die Sache erklärt und ihm die Adresse von Frau Doktor Harteveld gegeben. Ärzte unter sich. Er konnte einfach behaupten, dass Trees Cornelius eine neue Patientin von ihm sei und ihre medizinischen Unterlagen anfordern.
    »Weiß mein Vater das schon?«, fragte sie, nachdem sie erneut eine Weile lang geschwiegen hatte.
    Ich schüttelte den Kopf. »Wenn du möchtest, kann ich es ihm erzählen.«
    Unerwartet heftig rief sie: »Nein!«
    »Was wäre dir denn lieber?«
    »Ich muss das selber klären«, sagte sie. »Es ist meine eigene Schuld.«
    Ich reagierte ungeduldig. »Das ist doch lächerlich, du warst keine dreizehn, ein Kind noch, und man hat dir fünf Jahre lang absurde Schuldgefühle eingeimpft, so lange, bis es dich so verrückt gemacht hat, dass du selbst jetzt noch an dir zweifelst. Dieses Weib gehört doch in die Klapsmühle!«
    »Hinter Gitter!«, rief Tiffany und fing an zu weinen.
    Ich nahm sie in die Arme und versuchte, sie zu trösten. Sie schluchzte etwas in meine Schulter. Ich verstand sie nicht und fasste sie am Kinn, sodass sie mich anschauen musste. »Ich werde nie wieder sauber«, flüsterte sie. Es klang so traurig, dass ich von einer Welle des Mitleids erfasst wurde.
    Ich schreckte aus dem Schlaf, weil jemand gegen meine Tür hämmerte. »Max!«
    Kühles Frühjahrslicht schien durch das offene Dachfenster herein. Ich hörte Vögel zwitschern und roch die blühenden Apfelbäume.
    Die Tür ging auf und Nina Keereweer stürmte in mein Schlafzimmer. »Ich dachte schon, das kann doch nicht wahr sein!«
    Ich setzte mich auf und rieb über mein Stoppelkinn. »Guten Morgen. Ich habe verschlafen. Was kann nicht wahr sein?«
    »Dass Tiffany hier bei dir ist.«
    »Nein, solche Komplikationen …« Ich starrte sie an. »Ist sie denn nicht in ihrem Zimmer?«
    Nina schüttelte den Kopf und ging wieder hinaus. Ich stand auf und trug meine Kleidung ins Badezimmer hinunter. Nina stand im hinteren Flur. »Sie ist spurlos verschwunden. Hast du sie irgendwie erschreckt?«
    »Du hast mir doch beigebracht, dass sie nur gerettet beziehungsweise geheilt werden könne, wenn ihre psychische Blockade aufgehoben wird«, antwortete ich ein wenig pikiert.
    Ironisch musterte sie meinen Pyjama. »Und das ist dir also gelungen?«
    »Ich komme gleich.« Ich verschwand im Badezimmer und nahm eine Dusche. Ich war erschöpft eingeschlafen, ohne mir Gedanken darüber zu machen, dass Tiffany nicht würde schlafen können. Sie

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