Tiffany
sein?«
»Meines Wissens nicht«, antwortete der General. »Aber ich habe gehört, dass er alles aufgeschrieben hat, auch da draußen, er hat sein Tagebuch und seine Briefe in einer Keksdose in seinem Kleidersack aufbewahrt. Hast du sie nicht gefunden?«
»Es herrschte ein Riesendurcheinander, und es war Nacht, Meneer. Ich war froh, dass ich den Laptop und die Diskette finden konnte. Der Rest wurde zerstört.«
»Was ist mit seinem Umfeld?«
»Weitere Unglücksfälle würden Verdacht erregen.«
Wieder schwieg der General einen Augenblick lang. Dann sagte er: »Wenn sie etwas in der Hand hätten, hätten sie es schon an die große Glocke gehängt. Aber wenn sie weiter herumsuchen, kommen sie zwangsläufig irgendwann auf dich. Verlier nicht die Nerven. Halte mich auf dem Laufenden, aber nicht hier. Wir sehen uns ja dann auf dem Dam.«
»In Ordnung, Meneer.«
Das Restaurant Le Triangle war menschenleer, bis auf einen älteren Ober, der mir an der Bar einen Kaffee und einen Strammen Max servierte und mitfühlend den Kopf schüttelte, als ich mich nach dem Wohnwagen von Jan van Nunen erkundigte. »Sind Sie ein Verwandter von ihm? Sie waren doch auch nach der Beerdigung hier?«
»Ich war Sergeant-Major seiner Kompanie«, improvisierte ich aus dem Stand. »Ich war gerade in der Nähe und bin mal kurz zu ihm ans Grab gegangen. Schließlich hat man so einen Jungen doch gekannt, neben ihm im Schlamm gelegen …«
Er schluckte meine Flunkereien und reagierte mit einem verständnisvollen Nicken. »Meneer Houtman hat gesagt, er hätte von seinem Einsatz einen Tick zurückbehalten. Er war ein schwieriger Junge und fühlte sich am wohlsten, wenn er allein im Wald sein konnte.«
»Wer ist denn dieser Houtman?«
»Ein Baumschulenbesitzer in Wiesel, dort hat van Nunen gearbeitet. Der alte Wohnwagen hat auch Houtman gehört, er ließ den Jungen drin wohnen, als er bei der Baumschule gearbeitet hat. Nachdem das nicht mehr ging, durfte er ihn mitnehmen.«
»Konnte er nicht mehr arbeiten?«, fragte ich.
Der Ober wischte einen Krümel von der Theke. »Houtman hat erzählt, dass sich der Junge nicht konzentrieren konnte. Er sei sehr scheu gewesen, vertraute niemandem. Er war nicht böswillig, aber man konnte sich bei der Arbeit nicht auf ihn verlassen.«
Der Ober erzählte weiter, dass der Wohnwagen tief in den Wäldern gestanden habe, die zum Landgut Helgenborgh gehörten. »Früher war die Baronie ein herrschaftliches Anwesen, aber heute ist nicht mehr viel von der alten Herrlichkeit übrig«, sagte er. »Verarmter Adel. Die Baronin ist die Letzte, mit ihr stirbt die Familie aus. Sie ist Witwe, und ihr einziger Sohn ist vor zehn Jahren in Paris an einer geheimnisvollen Krankheit gestorben. Bestimmt hatte er Aids, aber darüber spricht man hier bei uns nicht. Sie konnte ihr Schlösschen nicht mehr unterhalten, da hat sie es an so eine schicke Rechnungsprüfer- Firma aus der Großstadt vermietet. Die haben es renovieren lassen. Um den Wald kümmern sie sich allerdings nicht, der ist vollkommen verwildert.«
»Und die Baronin?«
Er lachte kurz und ein wenig abfällig. »Die lässt sich im Dorf so gut wie nie mehr blicken. Sie ist in das ehemalige Försterhaus gezogen. Die alte Dame ist ein wenig sonderbar, vielleicht schämt sie sich wegen der verblassten Glorie.« Er blickte sich um, als er die Tür aufgehen hörte. Ein älteres Ehepaar betrat das Lokal und setzte sich an einen kleinen Tisch am Fenster.
»Wie ist der Wohnwagen denn in den Wald gekommen?«, fragte ich.
Er gab einen verächtlichen Laut von sich. »Meiner Meinung nach wusste die Baronin überhaupt nichts davon. Ich glaube, van Nunen hat sich den Jeep von Houtman geliehen und das Ding einfach dorthin geschleppt. Auf der in Richtung Wiesel gelegenen Seite kommt man von der Borghlaan aus überall ganz einfach rein.«
Er wünschte mir guten Appetit und begab sich eilig hinüber zu dem Ehepaar.
Ich folgte der verlassenen Borghlaan und der teilweise zerstörten Umzäunung aus rostigem Maschendraht auf der Rückseite des Landgutes und fand einen der pilzförmigen Informationssteine, die die Verkehrswacht aufstellt. Laut dem Ober musste ich in die erste Brandschneise dahinter einbiegen.
Ein hölzerner Schlagbaum, von dem die weiße Farbe abblätterte, versperrte mir den Weg, doch auch ohne ihn wäre ich mit dem Auto nicht weit gekommen, da die Brandschneise schon nach fünf Metern größtenteils zugewuchert war. Ich parkte den BMW vor dem Schlagbaum und fragte
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