Tiger Eye
sie erneut.
Aber ihre Lippen - sie brannten, und wie sie das taten. Ihr ganzer Körper war heiß vor Verlangen. Dela war noch nie so geküsst worden. Nur der Druck von Haris Mund auf ihren Lippen, sein Geschmack und sein Duft, hatten genügt, und flüs-siges Feuer war durch ihren Körper geströmt, hatte Muskeln und Knochen verzehrt und heftige Zuckungen in ihrem Unterleib ausgelöst.
Sie war entschlossen gewesen, ihm eins hinter die Ohren zu geben, falls sie sich rechtzeitig von diesem glühenden, verheerend erotischen Blick erholte, den er ihr zugeworfen hatte. Aber als er ihren Nacken berührte, ihren Mund, da waren alle zusammenhängenden Gedanken kreischend in irgendeinen tiefen Abgrund ihres Verstandes abgetaucht.
Dela begehrte ihn. Und zwar sehr. Es schockierte sie, wie lüstern sie war. Prioritäten, Prioritäten. Das Einzige, was sie davon abgehalten hatte, wie ein übereifriger Pudel von ihrem Stuhl auf seinen Schoß zu springen, war das Wissen, dass Hari ein Fremder für sie war. Ein Fremder, der sie vielleicht bedrängen, ihr Begehren als Einladung deuten könnte, weiterzugehen.
Aber Hari hatte nicht weitergemacht. Er hatte sich zurückgezogen und sich entschuldigt. Als sie ihn reden hörte, hätte sie ihn am liebsten umarmt, ihre Wange an seinen Hals gelegt. Mach keine Versprechungen, wollte sie ihm sagen, und dennoch war sie froh darüber, dankbar, dass er ihr Distanz versprochen hatte. Ihre Kontrolle, was Männer betraf, war immer besonders stark gewesen, distanziert, ja fast schon cool. Bei Hari aber war dies vollkommen anders.
Sie gab dem Echo seines Geistes die Schuld, das noch immer in ihrem Kopf wisperte. Er war auf eine sehr intime Weise ein Teil von ihr geworden, seine Gegenwart war ihr fast so vertraut wie ihre eigene, so, als würde sie ihn schon ein Leben lang kennen.
Höchst beunruhigend.
Sie schüttelte sich und schlug das Adressbuch auf, das sie aus ihrem Gepäck gefischt hatte. Mit ihrer Telefonkarte wollte Dela Roland Dirk in San Francisco anrufen.
Teils Bär, teils Holzfäller und teils GI Joe, war Roland seit fast zehn Jahren ein Mitglied von Delas innerem Kreis und sozusagen Familie. Er war versaut und pervers, ein kriminelles Genie der niedersten Gattung, und gleichzeitig einer der ihr liebsten Menschen auf der ganzen Welt. Zudem war er jetzt die richtige Person, die ihr helfen konnte.
Drüben war Mitternacht oder, wie ihr ausgeflippter Nachtschwärmer-Bruder Max gern sagte, »abgedreht früh«, aber dies hier war ein Notfall. Das Telefon klingelte einmal, zweimal, und Dela kämpfte gegen ihre aufsteigende Panik.
Komm schon, du Riesenzicke, geh an das verdammte...
»Yo«, stöhnte Roland. »Wassis los? Hoffentlich hast du einen verdammt guten Grund, denn ich hatte gerade einen echt geilen Sextraum.«
Dela verdrehte die Augen, weil sie wusste, dass er sie sehen konnte, und provozierte damit seinen Kommentar.
»Lass das, Del.«
»Ich hasse dich«, zischte sie liebevoll. »Selbst Cellulitis hat mehr Persönlichkeit.«
»Vor allem deine. Also, was willst du? Scheint wichtig zu sein, wenn du von China aus anrufst - es sei denn, natürlich, du hast dich endlich entschieden, meinen Forderungen nach Telefonsex nachzugeben.«
Ach, diese wundervollen Liebenswürdigkeiten. »Ausweispapiere für einen Freund«, sagte sie und kam zum Geschäftlichen. »Ich brauche einen Reisepass, eine Sozialversicherungsnummer - die ganze Palette. Außerdem ein Flugticket aus China heraus. Ich muss in derselben Maschine sitzen, also gebe ich dir meine Flugnummer und überlasse dir die Einzelheiten.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. »Für eine Minute hast du dich wirklich wie meine Mutter angehört.«
»Kein Wunder, dass du so versaut bist.«
»Daran ist dein Bruder schuld. Er treibt mich in den Wahnsinn. Weißt du, in welcher verrückten Scheiße er diese Woche wieder herumwühlt?«
»Hat es etwas mit Südamerika zu tun?«
»Ins Schwarze getroffen, Babe. Er tobt da unten wie ein Möchtegern-Rambo herum, scheucht Guerillatruppen auf und versucht, sie aufeinander loszuhetzen, damit er irgendwelche gekidnappten Touristen aus dem Amazonasgebiet schaffen kann. Ein Ablenkungsmanöver nennt er es. So wird er für eine einfache Befreiungsaktion noch den Dritten Weltkrieg anfangen.«
»Pah«, knurrte sie. »Max kann auf sich selbst aufpassen. Was ist nun mit diesen Papieren?«
»Himmel. Okay. Du brauchst sie wohl gestern, was? Sollte ich irgendwas über deinen Freund
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