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Tiger Eye

Titel: Tiger Eye Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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tun, was ein Mädchen tun muss, dachte sie und zwang sich, so lange zwischen den Statuen herumzugehen, dass sie hoffentlich keine Aufmerksamkeit erregte. Die Soldaten und die Polizei waren angekommen und drängten sich vor dem Eingang des Dreckmarktes. Gelangweilte junge Männer mit Maschinenpistolen und Notizblöcken. Einige lauschten dem aufgeregten Geplapper von angeblichen Zeugen des Zwischenfalls.
    Dela betrachtete die Menge, bevor sie den Schutz des Steingartens verließ. Und sie fand rasch, was sie suchte. Eine schlanke, etwa mittelalte Frau mit zahlreichen schwarzen T-Shirts über einem Arm, die am Rand der Schaulustigen stand. Dela erreichte sie in dem Augenblick, da einige Sanitäter unter den Markisen des Marktes auftauchten. Sie trugen eine Bahre mit einer verhüllten Person darauf. Dela schluckte und sah weg.
    Wie Dela gehofft hatte, erregte ihr blondes Haar die Aufmerksamkeit der T-Shirt-Händlerin, die sofort die wachsende Menge der Schaulustigen verließ, als sie ein Geschäft witterte. Dela kaufte das größte T-Shirt, ohne um den Preis zu feilschen, was die Frau gleichzeitig zu enttäuschen und zu freuen schien. Sie holte noch einige große Baseballkappen mit dem Olympia-2008-Logo aus einem schwarzen Müllbeutel, der vor ihren Füßen stand. Dela kaufte auch eine von ihnen.
    Dann ging sie zu Hari zurück und seufzte erleichtert, als sie ihn genau dort fand, wo sie ihn verlassen hatte. Er hatte sein Hemd bereits ausgezogen und hielt es zusammengeknüllt in seiner Hand. Er lächelte nicht, als er sie sah, aber als sie dann vor ihm stand, legte er seine Hand auf ihre Wange. Das genügte.
    Das T-Shirt passte so gerade. Die Darstellung der Chinesischen Mauer war zwar erbärmlich, aber der schwarze Stoff verdeckte das trocknende Blut auf Haris Rücken und war entschieden weniger beeindruckend als sein nackter Oberkörper. Dann setzte Hari die Baseballkappe auf und schob seine allzu auffälligen Haare darunter.
    Dela stopfte sein kaputtes Hemd zu dem Messer in ihre Tasche, und dann zwängte sie sich, Hari folgend, durch die schmale Lücke in dem Aluminiumzaun. Dabei trug Hari ein paar Schrammen an den Armen davon. Hinter der Lücke befand sich ein belebter Bürgersteig, und sie schnappten einige neugierige Blicke von den Passanten auf. Dela lächelte und hoffte, dass sie eher dumm als verrückt aussahen, und nahm Haris Hand.
    Sie gingen um den Block und folgten der Außenmauer des Dreckmarktes, während sie nach dem Hotel-Van Ausschau hielten. Er parkte immer noch gegenüber dem Eingang des Marktes, in dem sich jetzt Polizisten und Militärs drängten. Dela zögerte und sah Hari an.
    »Es geht nicht anders«, sagte er.
    Sie überquerten die verkehrsreiche Straße und mischten sich geschickt zwischen die Einheimischen, die Zentimeter um Zentimeter mutig in den nicht enden wollenden Strom aus Fahrzeugen rückten, bis schließlich ein Wagen anhielt, dann noch einer. Und schließlich kamen alle sicher hinüber.
    Sie erreichten den Van ohne weitere Zwischenfälle. Niemand schrie oder zeigte auf sie; keine jungen Männer mit Maschinenpistolen schrien Befehle. Niemand achtete sonderlich auf sie, alle starrten höchstens den sehr großen Ausländer in dem schrecklichen T-Shirt und der Touristenkappe an.
    Der Fahrer musterte sie zwar neugierig, als sie in den Van stiegen, sagte jedoch nichts. Dela bat ihn, zum Hotel zurückzufahren. Und zwar schnell.
    Sie saß hinten. Eigentlich war dort nicht mehr genug Platz, aber Hari hatte Dela beim Einsteigen hinter sich hergezogen, weil er ihre Hand nicht loslassen wollte. Sie hatte nichts dagegen, sich an ihn zu schmiegen. Ihr Körper reagierte endlich auf den Angriff, ihre Glieder zitterten, und ihr Herz hämmerte rhythmisch gegen ihre Rippen. Ihr war elend.
    »Ich habe wirklich nicht geglaubt, dass er das auf einem belebten Platz am helllichten Tag versuchen würde«, murmelte Dela. »Ich hätte es besser wissen müssen.«
    »Er war verzweifelt. Er hatte schon einmal versagt und konnte sich ein zweites Scheitern nicht mehr leisten.« Hari sprach so leise, dass Dela ihn kaum hören konnte. Er hatte seinen starken Arm um ihre Schultern und seine große Hand auf ihr Haar gelegt. Unter seiner Berührung floss Wärme durch Delas zitternden Körper, und sie schloss die Augen, um das Gefühl, getröstet zu werden, genießen zu können.
    »Du hast mir schon wieder das Leben gerettet«, flüsterte sie. »Danke, Hari.«
    Sie fühlte, wie er sie ansah, und wurde wie magisch von dem

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