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Tiger Eye

Titel: Tiger Eye Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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Blick dieser ernsten, goldenen Augen angezogen.
    »Ich habe vor deinen Augen einen Menschen getötet«, sagte er so leise, dass nur sie ihn hören konnte. »Beunruhigt dich das nicht?«
    Dela dachte, er frage sie wirklich, ob er sie verängstigt habe. Sie schüttelte den Kopf.
    »Es tut mir sehr leid, dass du es tun musstest. Ich weiß, dass du von all der Gewalt genug hast. Aber es tut mir nicht leid, dass dieser Mann tot ist. Er hat zweimal versucht, mich zu töten, und solche Männer hören nicht auf, bis sie von ihrem Auftrag abgezogen oder voll dafür bezahlt werden.«
    Blutdürstig, kalt, zynisch... Diese Worte gingen Dela durch den Kopf, wenn sie sich selbst beschreiben sollte. Aber sie musste Hari einfach die Wahrheit sagen. Sie hielt die Luft an, während sie auf seine Antwort wartete.
    »Du überraschst mich immer wieder«, sagte er leise. Dela seufzte, als er sie noch dichter an sich drückte. »Ist dir so etwas schon einmal passiert?«
    »Nein, aber ich kenne die Regeln, ich weiß, wie das Spiel gespielt wird.« Das musste sie auch, als Mitglied der Agentur.
    »Ich werde dich nicht fragen, woher du so etwas weißt«, erwiderte Hari. »Jedenfalls nicht jetzt. Aber da du diese... Regeln kennst, hättest du ihn auch selbst getötet, wenn du die Chance dazu bekommen hättest?«
    Dela rührte sich nicht. »Ich kann genauso gut mit einem Wurfmesser umgehen wie du, Hari. Und ja, in Notwehr hätte ich ihn getötet.«
    »Gut«, stieß er leise hervor und drückte seine Lippen auf ihre Schläfe.
    »Gut?«
    »Es würde mich mehr beunruhigen, wenn du dich deiner Überzeugung oder eines empfindlichen Magens wegen zu einem leichten Opfer machen würdest.«
    »Aber Dummheit ist in Ordnung, nicht wahr?«
    »Du bist nicht dumm, Delilah. Nur... naiv. Oder vielleicht auch einfach mutig.«
    »Ich bin nicht sicher, ob ich den Unterschied erkenne. Und mutig bin ich auch nicht. Ich habe schreckliche Angst.«
    »Angst?« Er lachte einmal scharf auf. »Ich habe Könige und Kriegsherren gesehen, die weit emotionaler reagiert haben.«
    »Ach ja? Ich wette, sie wurden nicht von Geburt an dazu erzogen, ihre Ängste zu beherrschen. Nicht so wie ich.« Hari sah sie erstaunt an. Dela berührte seine Hand. »Du sagst, ich zeige keine Furcht? Das heißt aber nicht, dass ich sie nicht empfände. Doch Kontrolle... für Menschen wie mich ist Kontrolle von größter Bedeutung, vor allem die Kontrolle der Angst. Es wäre zu einfach, mich zu fürchten, Hari. Die Dinge, die ich tue, sind nicht normal, jedenfalls nicht nach den Maßstäben unserer Gesellschaft, und wenn ich mich von Furcht leiten ließe, würde dies meine Fähigkeiten blockieren. Dasselbe gilt jetzt. Wenn ich in Panik gerate, bin ich nutzlos, und das kann ich nicht zulassen.«
    »Gesprochen wie ein Krieger«, erwiderte er leise. »Ach, Delilah, wir sind gar nicht so unterschiedlich. Was du beschreibst, ähnelt sehr der Ausbildung, die ich als Kind genossen habe. Gestaltwandler werden zwar als Menschen geboren, aber ihre Fähigkeit, sich zu transformieren, zeigt sich bereits recht früh. Das erste Mal ist schrecklich. Man sagt dir zwar, was du zu erwarten hast, aber dein Verstand ist noch viel zu jung, um wirklich zu verstehen, was es bedeutet, etwas anderes, etwas Fremdes zu werden. Wir müssen ständig lernen, unsere Furcht vor der Verwandlung zu beherrschen, jedenfalls bis wir alt genug sind, um kontrollieren zu können, wann und wo es passiert.«
    »Und wenn du das nicht lernst?«
    Haris Kiefer mahlten. »Dann wird das Leben sehr schwierig.«
    Dela hätte ihn fast etwas gefragt, aber ein Blick auf sein Gesicht genügte. Diese Geschichte würde sie sich für ein anderes Mal aufheben.
    Ein anderes Mal. Sie lächelte, amüsiert darüber, dass sie sich allmählich an die Vorstellung gewöhnte, dass sie und Hari Zeit
    miteinander haben würden, eine Zukunft mit Geschichten, auf die sie sich freute.
    Das ist verrückt, dachte sie, aber mit weit mehr Glücksgefühl als Furcht.
    »Was denkst du?«, wollte Hari wissen.
    »Dass du ein wundervolles Junges gewesen sein musst«, log sie, weil sie zu verlegen war, die Wahrheit zu gestehen.
    Hari grinste ironisch. »Ich hatte sehr scharfe Krallen.«
    »Manche Dinge ändern sich nie.«
    Hari schaute auf seine langen, schlanken, aber kräftigen Hände. Dela legte ihre eigenen darauf, schlank und blass vom Winter, und sie schwiegen für einen Augenblick, während sie den Unterschied auf sich wirken ließen.
    »Hast du die alte Frau gefunden?«,

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