Tiger Eye
Dela nicht feststellen; sie war von zu viel Stahl umgeben, als dass sie das Flüstern von etwas so Kleinem wie einem Messer oder einer Pistole hätte ausmachen können. Er sprach in ein Handy; offenbar hatte er nicht bemerkt, dass man ihn gesehen hatte.
»Sie haben gute Augen«, bemerkte Eddie, der den Mann aufmerksam anstarrte.
Dela runzelte die Stirn. »Er könnte auch vollkommen unschuldig sein.«
»Nein«, widersprach Hari. »Seine Haltung ist zu eindeutig.«
»Roland hat nichts davon gesagt, dass er zusätzliche Hilfe angeheuert hätte, ich meine in den Vereinigten Staaten«, sagte Eddie und warf Dela einen Seitenblick zu. Ein merkwürdiges Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus.
»Eddie«, fragte sie gedehnt. »Hat mich jemand beobachtet?«
Das Blut schoss ihm in die Wangen. Dela schloss die Augen und zählte langsam bis zehn.
»Eddie... hat Roland den Mann angeheuert, um uns zu beobachten?«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte er unbehaglich. »Ich weiß es wirklich nicht, aber das werden wir bald herausfinden. Ich weiß nur, dass Roland in China jemanden engagiert hat, einen Einheimischen, der auf Sie aufpassen sollte. Aber es klingt so, als hätte er elendiglich versagt.«
»Jedenfalls war er sehr diskret«, erklärte Dela sarkastisch. »Und wenn er klug ist, ist er bereits ganz abgetaucht.«
»Stimmt, Roland kann ziemlich jähzornig werden«, erwi-derte Eddie. Er sagte es so sanftmütig, dass Dela grinsen musste. Sie lehnte sich in ihren Sitz zurück. Die Wagenfenster waren zwar getönt, aber sie wollte trotzdem nicht im Blickfeld dieses merkwürdigen Mannes sitzen. »Also könnte er Freund oder Feind sein. Zu schade, dass hier so viele Menschen sind. Sonst könnten wir ein bisschen plaudern.«
»Die Menschenmenge könnte auch zu unserem Vorteil sein«, erklärte Eddie. »So kann er uns nichts tun, ohne dass es viele Zeugen gibt.«
»Zeugen haben den anderen doch auch nicht aufgehalten«, widersprach Hari. »Außerdem wird dieser Mann nicht sprechen, ohne dass man ihn nachdrücklich dazu ermuntert. Solche Männer tun das nie.«
Eddie blinzelte. »Sie klingen so, als hätten Sie Erfahrung damit.«
Hari sah ihn einfach nur an.
»Also gut, verdammt!« Dela schnippte mit den Fingern, und Eddie zuckte zusammen. »Also können wir öffentliche Folterung und Entführung vergessen. Welche Optionen bleiben uns da noch?«
Eddie runzelte die Stirn. Dela fühlte plötzlich, wie sein Körper eine Hitzewelle ausstrahlte. Im nächsten Moment machte ihr Beobachter einen Satz in die Luft und ließ sein Handy fallen. Das Plastikgehäuse qualmte.
Eddie verließ sofort mit Vollgas den Parkplatz, bog wie ein professioneller Rennfahrer scharf um die Ecken und umkurvte cool und geschickt Wagen und Fußgänger. Innerhalb von wenigen Minuten waren sie auf dem Freeway.
Hari hob fragend die Brauen. Dela sah Eddie an.
»Also«, fragte sie ein bisschen zu gelassen, »wie lange sind Sie schon bei der Agentur?«
Eddie zögerte, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. »Drei Monate als vollwertiges Mitglied, aber meine Praktikumszeit dauerte mehr als ein Jahr.«
Das war etwas mehr als der Durchschnitt, aber Eddie war noch jung und hatte vermutlich einige Vorstrafen gehabt. Roland suchte sich die Leute, die er in die Agentur holte, sehr sorgfältig aus, und Eddie hatte zweifellos den ganzen Spießrutenlauf durchgemacht.
»Was ist das für eine... Agentur?« Hari beugte sich vor. Sein Duft drang Dela in die Nase, so süß wie ein Frühlingstag im tiefen Wald, mit der Ahnung neuen Wachstums. Sie drehte sich unter ihrem Sicherheitsgurt herum, damit sie ihn besser ansehen konnte.
»Du weißt doch noch, dass ich dir von den mentalen Fähigkeiten erzählt habe, mit denen meine Familie gesegnet ist? Vor langer Zeit haben meine Vorfahren eine Organisation gegründet, die sich dem Ziel widmete, Menschen wie sie selbst zu finden. Leute, die eben nicht... normal sind.«
Hari lächelte. »Was ist normal?«
Dela lachte. »Sag du’s mir. Jedenfalls hatten meine Vorfahren Glück, denn sie waren nicht allein. Sie fanden andere -Leute wie sie. Sie machten nicht viel zusammen, außer dass sie sich gegenseitig anerkennend auf den Rücken klopften und gelegentlich untereinander heirateten. Aber als meine Großeltern die Organisation übernahmen, änderte sich das. Sie bauten eine Agentur daraus auf. Eine Art Detektiv-Agentur, die unter dem Namen Dirk & Steele fungierte.«
Niemand wusste genau, was sich Delas Großeltern dabei
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