Tiger Eye
Hand, bevor er sie ganz wegzog.
»Sie sind Hari, stimmt’s? Roland hat gesagt, ich soll Sie zusammen mit Dela abholen.«
Hari runzelte die Stirn. »Roland ist Delilahs Familienfreund?«
»Ehm, ja.« Eddie grinste. »So könnte man das wohl bezeichnen.« Er sah Dela an und deutete zum Ausgang. »Mein Wagen parkt auf der Straße.«
Es war noch früh am Nachmittag, die Sonne stand hell und strahlend am wolkenlosen blauen Himmel. Die Temperatur war jedoch etwas kühler als in Peking - sehr angenehm. Dela atmete einmal tief durch und versuchte, die Luft der Klimaanlage aus ihrer Lunge zu bekommen. Es tat gut, zu Hause zu sein, auf heimischem Boden, mit dem Beigeschmack von vertrautem Stahl im Kopf.
Sie ließ ihre mentalen Schilde einen Augenblick sinken, einmal kurz zu schmecken, das war alles, was sie brauchte. Und der Flughafen summte in ihrem Kopf ein Lied von Unbestän-digkeit, unerbittlichem Zweck und allerlei Bewegungen: Reisen und Übergänge.
Dela schloss die Stimmen wieder aus, dankbar für die Stärke ihres mentalen Schildes. Überall war Metall, in den Gebäuden, den Autos, den Körpern, den Möbeln, der Elektronik - kompliziert und notwendig, aber alle hatten Stimmen, und einige mit dem Eindruck des menschlichen Geistes: Geschichten und dunkle Vibrationen.
Ohne ihre Fähigkeit, diese Vibrationen zu blockieren, das Flüstern, das vom menschlichen Kontakt übrig geblieben war, wäre Dela schon vor langer Zeit verrückt geworden. Ihrem Bruder wäre das beinahe ebenso gegangen. Max, der so viel Talent hatte, anderen zu helfen, sich abzuschirmen, konnte dies nicht so leicht für sich selbst. Deshalb war Dela überrascht gewesen, als sie erfuhr, dass sich Max zu einer Teammission in Südamerika aufhielt. Max arbeitete fast immer allein. Für seinen Verstand war es geeigneter so.
»Hat Roland meine Nachricht über die Recherchen bekommen, die in Peking durchgeführt werden müssen?«
Eddie nickte und führte sie über den asphaltierten Zugangsweg zu dem überdachten Parkplatz. »Er ruft Sie an, sobald er etwas herausfindet.«
Dela und Hari sahen sich kurz an. Bevor sie Peking verlassen hatten, hatte Dela Roland angerufen und ihn gefragt, ob seine chinesischen Quellen möglicherweise Informationen über Long Nü beschaffen könnten. Dela wusste bisher zwar so gut wie gar nichts über diese Frau, aber vielleicht gab es Gerüchte, die man Einheimischen bereitwilliger erzählte. Hari und sie hatten viele offene Fragen zurückgelassen, Fragen, auf die Dela die Antworten vermutlich selbst zu finden versucht hätte, wäre die Lage nicht so gefährlich geworden.
Hier war es nicht weniger gefährlich, aber die Heimat fühlte sich immer sicherer an, auch wenn das eine Illusion sein mochte.
Eddies schwarzer Land Cruiser war so neu, dass die Kennzeichen noch nicht einmal montiert waren. Das Metall glänzte schwarz wie Obsidian, die Fenster waren vollkommen geschwärzt. »Nettes Gefährt«, rief Dela und setzte sich auf den Beifahrersitz. Mit der Hand strich sie über das makellose Leder.
»Danke. Dieser Job wird besser bezahlt als mein letzter.«
Dela betrachtete Eddie von der Seite. »Und für wen genau haben Sie gearbeitet, bevor Sie bei Roland anfingen?«
»Ich war selbstständig. Im Autohandel. Acquisition, könnte man wohl sagen.«
»Und was für Fahrzeuge haben Sie... acquiriert?«
»Nur die guten, Madam.« Eddie grinste, und seine Augen funkelten mutwillig. Es passte zu seinem Gesicht, machte ihn aber erheblich älter. Dela lachte kehlig. Typisch Roland, einen ehemaligen Autodieb in die Agentur zu holen.
Hari kletterte in den Fond des Land Cruisers und streckte sich auf der Rückbank aus. Er lümmelte sich dort hin wie ein exotischer König aus einem Märchen, und seinen goldenen Augen entging nichts, weder im Wagen noch außerhalb. Dela hörte ein Rumpeln, das von einem Flugzeug hätte stammen können, aber es kam aus Haris Brust.
»Ein Mann beobachtet uns«, sagte er, als Eddie gerade den Motor anließ. Dela drehte sich herum. Hari starrte aus dem Rückfenster auf den Ausgang des Flughafengeländes, und tatsächlich - dort stand ein Mann. Er trug eine blaue Windjacke, T-Shirt und Jeans, und blickte in ihre Richtung. Es war kein Zufall. Dela konnte seinen intensiven Blick beinah körperlich fühlen.
Amateur, dachte sie.
Er schien Asiat zu sein, schwarzes Haar, hohe Wangenknochen. Sein Körper wirkte durchtrainiert, aber er machte insgesamt einen unauffälligen Eindruck. Ob er bewaffnet war, konnte
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