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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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eine Kristallheilung aus einem von Inès’ Wicca-Büchern durch. Es nützte alles nichts: Im Februar wurde meine Mutter wieder eingewiesen, zum dritten Mal in diesem Jahr. Schon bei den letzten Einweisungen hatte uns Peter im Taxi begleitet. In der Notaufnahme vertraute Mommy ihm Erfahrungen aus ihrer Kindheit an, über die sie noch nie gesprochen hatte. Als sie und meine Tante Bonnie neun Jahre alt gewesen seien, sagte sie, hätte ein Mann sie in eine Scheune gelockt und zuerst meine Tante vergewaltigt und dann seine Finger in meine Mutter gesteckt, bis sie blutete. Die Eltern meiner Mutter gingen nicht zur Polizei, weil sie nicht vor Gericht aussagen wollten; sie hielten es für das Beste, die Angelegenheit einfach zu vergessen. Mommy kippte in der Schule um oder fing ohne Vorwarnung an zu schreien, so dass meine Eltern mit ihr zu einem Psychiater gingen, der ihr Mellaril verschrieb, ein Neuroleptikum, das ihr das Gefühl gab, zu schlafwandeln. Sie machte zwar keinen Ärger, aber sie spielte auch nicht mehr; sie war, wie sie Peter sagte, ein »perfekter Engel« geworden im Gegensatz zu Tante Bonnie, die sich weigerte, die Pillen zu nehmen. Meine Großmutter bestrafte Tante Bonnie, indem sie sie unter die eiskalte Dusche stellte. Ihre Schreie hallten durch das ganze Haus. »So wurden Kinder damals erzogen«, sagte Mommy zu Peter. »Wem sagst du das«, erwiderte er.
    ***
    In letzter Zeit hatte ich begonnen, im Schlaf so heftig mit den Zähnen zu knirschen, dass ich mit furchtbaren Kieferschmerzen erwachte. Über Arme und Beine zogen sich rote Kratzer. Manchmal hatte ich zehn Tage lang meine Periode, dazu kamen häufige Zwischenblutungen.
    Im Winter bekam ich langsam das Gefühl, dass die Waagschale kippte, dass Peter mir mehr Freude schuldig war, als er mir zukommen ließ. Deshalb verlangte ich von ihm, er solle aufhören, mit Inès auszugehen, denn sie hasste mich und wünschte mir den Tod. Wenn Peter sonntags zurückkam, hatte er immer viel über Inès’ Lästereien zu berichten. Warum musste das überhaupt sein? Ich bezweifelte ernsthaft, dass Inès von Peter verlangte, diese Ausflüge mit ihr zu machen; Inès machte niemals Druck. Es war Peter, der immer Druck auf andere ausübte und sie zwang, eigene Grenzen zu überschreiten. War ihm überhaupt klar, dass ich jeden Sonntag Weinkrämpfe hatte, weil ich die Einsamkeit nicht ertrug? Irgendwie musste ich ihm klarmachen, wie viel Leid er verursachte, indem er Inès mir vorzog. Diese Frau tat nichts für ihn, kein Sex. Sie gab ihm nichts, also hatte sie auch nichts verdient.
    Ich begann, so zu tun, als sei ich ein gefährlicher Dämon, und sagte mit kehliger Stimme zu Peter: »Du machst mich krank« oder »Du liebst deinen Hund mehr als mich« oder »Früher war es lustig mit dir, jetzt benimmst du dich wie ein alter Mann«. Diese Beschimpfungen führten dazu, dass Peter weinte und ich den bösen Geistern die Schuld gab. In solchen Momenten wusste ich, dass ich nie von einem Dämon besessen gewesen war, doch diese Erkenntnis hielt mich nicht davon ab, von bösartigen Wesen zu träumen oder zu befürchten, dass ich dabei war, meine Seele zu verlieren.

21
    Pretty Babies
    Der März kündigte den Frühling an, was Peter glücklich machte: Wenn der Wind nachließ, konnte er seine Gold Wing aus dem Keller holen, wo sie seit dem ersten Schnee untergebracht gewesen war. Doch der März erinnerte Peter auch an meinen nur noch einen Monat entfernten Geburtstag, und das drückte immer auf seine Stimmung. Dieses Jahr war mein großer vierzehnter Geburtstag. Für Peter war jeder Geburtstag ein kleiner Schritt hin zur Apokalypse unserer Freundschaft. Er beklagte sich sowieso ständig über mein Alter. Er sagte, seit ich zwölf geworden sei und meine Tage habe, hätte meine Scheide einen gewissen Geruch. Er sei nicht schlimm, sagte er, wahrscheinlich würde er die meisten Männer sogar erregen, doch weil er damals von den Stepptänzerinnen missbraucht worden sei, könne er den Geruch der weiblichen Scheide nicht ertragen und wäre deshalb nicht in der Lage, mich zu lecken. Ich wagte nicht, ihn daran zu erinnern, dass ich im Gegensatz zu ihm Dinge einfach ertrug, die ich nicht mochte: beispielsweise die Schmerzen und die Langeweile, wenn ich ihn befriedigte. Oder wenn ich mir abscheuliche Geschichten über Prostituierte, Straßenkinder und Ähnliches ausdenken musste. Es gab eine neue Fantasie, bei der Peter einen Sultan spielte und ich das Sklavenmädchen war, das den Tanz der

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