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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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schlechter Mensch. Und ich hatte keine Angst. Ich trat näher heran. Da sah ich hinter dem Engel eine Leiter.« Peter begann zu schluchzen, und ich legte die Arme um ihn.
    »Du musst nicht weitersprechen. Es regt dich zu sehr auf.«
    »Ich muss dir von dieser Leiter erzählen. Es fehlten mehrere Sprossen. Der Engel stand im blauen Licht und sah mich völlig ruhig an. Nach einer Weile stieg Entsetzen in mir auf. Weißt du, wenn du tagsüber in der Schule bist, lese ich Bücher darüber, wie Kinder mit Sexualität umgehen …«
    »Was war mit der Leiter?«
    »Ich konnte sie nicht vollständig sehen, weil der obere Teil im Nebel lag. Wie der Nebel, der Manhattan manchmal vollkommen zudeckt. Und während mir der Engel in die Augen sah, verstand ich plötzlich, was die Leiter darstellen sollte. Es war dein Leben, mein Liebes. Und die fehlenden Sprossen waren die Jahre, die du wegen mir verloren hast.«
    »Ich verstehe nicht, wovon du redest.« Ich hatte wieder das Gefühl, als wäre mein Stromkreis überlastet.
    »Ich erkläre es dir. Das Leben läuft in Stufen ab, das sind die Sprossen. Zuerst bist du ein Kind, das mit Puppen spielt. Ungefähr ab zehn Jahren interessierst du dich langsam für Jungen. Als Teenager fängst du an, dich mit ihnen zu treffen. Aber bei dir wurden diese Phasen übersprungen. Wir müssen jetzt zurückgehen und die Leiter reparieren. Dafür müssen wir mit dem Sex aufhören. Auf kalten Entzug gehen. Unsere Liebe muss rein und spirituell werden. Ich werde dein Vater sein.«
    »Du bist schon ein Vater für mich.«
    »Ich meine, ein Vater, der keinen Sex mit dir hat.« Peter schaute Paws nach, der zwischen den Bäumen ein Eichhörnchen jagte. »Wir müssen damit aufhören. Ich habe begonnen, an dem Puppenhaus zu arbeiten. Du weißt schon, das Haus aus Holz, mit dem ich vor ewigen Zeiten angefangen habe, aber das nie fertig geworden ist. Ich dachte, du könntest damit spielen. Ich würde dir Puppen besorgen. Und irgendwann musst du dann anfangen, mit Jungen in deinem Alter auszugehen. Ich werde der stolze Vater sein, der gespannt auf die Rückkehr seiner Tochter wartet, damit sie ihm von ihrer Verabredung berichten kann.«
    »In der Schule gibt es einen Jungen, der mir gefällt. Aber er mag mich nicht. Ich hab einem Mädchen im Vertrauen erzählt, dass ich ihn gut finde, und sie ist direkt zu ihm hingelaufen und hat es ihm gesagt. Mann, ich hasse die Schule! Ich will nicht mehr dahin! Aber das geht nicht, weil ich noch nicht alt genug bin.«
    »Hast du gehört, was ich gesagt habe? Wir können keinen Sex mehr haben.«
    »Wir sind verheiratet!«
    »Nicht gesetzlich.«
    »Das ist ungerecht! Das ist doch bescheuert! Ich kann nicht auf einmal wieder ein kleines Mädchen sein! Und jetzt sagst du mir, eine Frau darf ich auch nicht sein!« Für mich war es immer das Wichtigste gewesen, mich weiterzuentwickeln, das Mädchen, das ich war, hinter mir zu lassen, und jetzt wollte Peter, dass ich damit aufhörte.
    »Wir können noch mal von vorn anfangen. Ich weiß, wir können das. Diesmal machen wir es richtig.«
    »Du stößt mich nur von dir, so wie alle! Ich bin dir zu alt, und du willst mich mit dieser Masche loswerden! Du willst keinen Ärger! Die Leute reden, und Inès macht dir Druck. Sie will mich rauswerfen, ich weiß es! Solange es der Keller war, war alles in Ordnung. Als nur du und ich im Keller waren …«
    »Dies ist der Grund, warum es aufhören muss«, sagte Peter bebend. »Sieh dir an, welche Wirkung es auf dich hat.«
    »Haben Miguel und Ricky was über mich gesagt?«
    »Nein, ich schwöre, sie haben nichts gesagt. Sie reden nicht mit mir.«
    »Wegen mir, wette ich! Keiner kann mich leiden! Inès, deine kostbare Inès, redet nie auch nur ein Wort mit mir!«
    »Inès ist schüchtern. War sie schon immer. Und wenn sie uns manchmal streiten hört, fühlt sie sich unwohl.«
    »Oh, jetzt habe ich aber Schuldgefühle! Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich ihren Frieden störe! Verteidige sie doch noch mehr, ja? Führ doch ein glückliches Leben mit ihr! Ich verschwinde einfach. Mach dir keine Gedanken, ob ich tot bin oder lebendig, du hast ja meine Fotos! Und die sagen ja keinen Ton!«
    Ehe Peter antworten konnte, lief ich in den Wald, die Straße herunter, über den Parkplatz zum Bootsanleger, wo ich mich ans Ende eines leeren Piers setzte und auf das graue Wasser des Hudson River starrte, bis Peter humpelnd herankam, Paws an der Leine, und mich anflehte, nicht zu springen.

24
    Ein

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