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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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aussah. Obwohl das Bild jemanden zeigte, der nicht mehr auf dieser Erde weilte, vermittelte es mir Hoffnung, weil es mich daran erinnerte, dass es außer Peter noch Männer gab, die jemanden wie mich akzeptieren konnten, weil sie selbst ebenso Schlimmes erlebt hatten. Was Peter anging, schien ihn das Poster an seiner Wand nicht zu stören. Manchmal betrachtete er es sogar mit einem unergründlichen, nachdenklichen Gesichtsausdruck und einmal bemerkte er, Kurt sehe aus wie ein kleiner Junge, der über die Zirkuslichter staune.
    ***
    Die aggressive Musik von Nirvana und Hole trieb meinen eigenen Zorn auf Peter an die Oberfläche; all das, was in den Texten verborgen war und was ich mich so lange nicht getraut hatte zu verstehen, fraß sich nun in meinen Kopf. Ein Grund, warum wir uns häufiger und heftiger als je zuvor stritten. Bei einem Streit spätabends im Auto, der ausbrach, weil Peter sagte, er wolle es nicht noch einmal versuchen, mit mir zu schlafen, schrie ich ihn an: »Du hast es versprochen, so wie ich es dir damals versprochen habe. Aber im Gegensatz zu dir habe ich es an deinem Geburtstag eingelöst, schon vergessen? Obwohl ich erst acht war! Weißt du, zu was dich das macht? Zu einem Kinderschänder. Kinderschänder! Kinderschänder! Kinderschänder! « Peter steckte sich die Finger in die Ohren, und als ich versuchte, sie herauszuziehen, schlug er mir ins Gesicht, Blut spritzte auf das Armaturenbrett und auf mein T-Shirt.
    Peter fuhr auf den Parkplatz von Pathmark , um Verbandsstoff und Pflaster zu holen. Aber er konnte nicht sofort hineingehen, weil er zu aufgeregt war. Ich drückte mir mehrere Taschentücher ins Gesicht und konnte kaum glauben, dass da wirklich Blut auf dem Armaturenbrett war. Meine Nase fühlte sich an wie betäubt. Ich betrachtete mein besudeltes Tanktop. Wir müssen das Oberteil loswerden, bevor es jemand sieht , dachte ich und hörte mich den Satz dann laut sagen. Peter sagte, ehe er mich zu Poppas Haus bringen würde, würden wir bei ihm vorbeifahren, um eines der Shirts aus seinem Zimmer zu holen, die ich dort zum Umziehen aufbewahrte.
    Peter legte den Kopf aufs Lenkrad und sagte: »Du machst mich so wahnsinnig, sag bitte nie wieder dieses grässliche Wort zu mir, ich flehe dich an, lass die Vergangenheit ruhen. Meine Töchter können mir nicht vergeben, und du hast jetzt auch so viel Hass in dir. Was ist mit dem ganzen Spaß, den wir hatten? Das habe ich auch zu meiner Tochter am Telefon gesagt. Ich weiß noch, wie ich bei ihrer Hochzeit in der Kirche in der hintersten Reihe saß und schnell wieder gegangen bin, bevor sie mich sehen konnte. Ich habe dich geliebt, wirklich; ich wollte dir nie etwas Böses tun. Vergiss das nie.«
    ***
    Obwohl ich geschworen hatte, die Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen, gelang es mir nicht. Bei der nächsten lautstarken Auseinandersetzung verpasste Peter mir ein blaues Auge, das ich mehrfach überschminken musste. Zweimal musste er die Windschutzscheibe des Granadas erneuern lassen, weil er sie zerschlug. Einmal versuchte ich, das Auto gegen einen Baum zu lenken. Ein anderes Mal holte Peter sich ein Messer und zerkratzte mein Gesicht auf dem großen ovalen Foto, das mich mit acht Jahren zeigte und all die Jahre in seinem Zimmer gehangen hatte. Anschließend bereute er es und schob das Bild mit Rahmen unter seine Matratze, wo sich auch die Autobiographie befand, die er nicht hatte wegwerfen können, sowie ein gerahmtes Foto seiner Töchter.
    ***
    An einem Dezemberabend in Peters Zimmer maß ich meine Basaltemperatur, um mich zu vergewissern, dass ich einen Eisprung hatte, so wie ich es in einem Buch über Fruchtbarkeit gelesen hatte. Meine Temperatur war leicht erhöht, was bedeutete, dass die Gebärmutterschleimhaut hoch genug aufgebaut war, dass ich viel Östrogen im Blut hatte – versetzt mit dem köstlichen Brandy meiner Gelbkörperhormone –, also empfängnisbereit war. Unwichtig, dass alle Träume, die ich jetzt noch hatte, Alpträume waren: leere Spiegelkabinette, Serienmörder, Eisenbahnschienen und der Meeresgrund. Ich träumte von wildfremden Männern, die mich im Park vergewaltigten, von obdachlosen Frauen mit Würfeln als Augen, von meinem Körper, der von Kopf bis Fuß von Kakerlaken bedeckt war, von ausgetrockneten Schluchten und einer Sonne, die von Fensterläden verdeckt wurde. In meinem Tagebuch hielt ich einen Traum fest, in dem ich eine Schlinge an einen Holzbalken im Keller gebunden hatte, mir »Hure« und »Schlampe«

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