Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger
es wieder. Komm, wir wollen Spaß haben. Wir können ja Scrabble oder Rommé spielen. Etwas Entspannendes. Mir tut langsam der Rücken weh.«
»Nein«, sagte ich. Ich hatte das Gefühl, dass der Kreis, der begonnen hatte, als ich acht Jahre war, sich nun schließen musste. Dieses Mal war ich so entschlossen, dass selbst die Starrheit meiner eigenen Muskeln mich nicht davon abbringen konnte. Ich lag auf Peter, wie er verlangt hatte, wegen seines Rückens. Ich war trocken, aber wir hatten Vaseline. Beim Sex versuchte ich mir vorzustellen, er sei Kurt, aber es funktionierte nicht, das Zimmer war zu real. Ich sah die Figuren auf den Vorsprüngen, die von der Alabasterlampe beleuchteten Gesichter, die durch das Terrarium hüpfenden Grillen, Nahrung für die Anolis. Jemand öffnete die Tür des Kühlschranks vor Peters Zimmer und hustete, und ich schämte mich. Es tat weh. Ich versuchte, mich auf meine Kriegernatur zu besinnen und meiner Angst ins Gesicht zu sehen, und ich war ganz darauf konzentriert, mich auf das heiße rote Zentrum des Schmerzes zuzubewegen, nicht fort von ihm. Später käme dann das hehre Leid der Geburt, und aus der Asche des Mädchens würde eine wahre Frau auferstehen. Obwohl ich nicht erregt war, freute ich mich, Peter in mir zu haben, weil dieser Versuch, neues Leben zu schaffen, die ungezählten Geschenke rechtfertigte, die ich Peter im Laufe der Jahre gemacht hatte. Es war, als würden nun endlich die Probleme einer Achtjährigen gelöst, die lange vor der Zeit ein sexuelles Wesen geworden war, indem ich jetzt die Verantwortung für die neue Bedeutung von Sexualität übernahm, und endlich kam Peter in mir, genau in dem Moment, in dem ich ihn darum gebeten hatte.
***
Es war der 30. Dezember, am nächsten Tag war Silvester, Poppas Lieblingsfeiertag, ein Sonntag. Sollten Peter und Inès doch eine Tour machen, ich hatte meine eigene Reise. Irgendwo an einem Pier außerhalb der Zeit wartete mein Schiff. Es hatte keine Segel. Vor mir waren schon andere an Bord gegangen. Draußen war es kalt, auf dem Boden lag noch Schnee, doch ein rostroter Fleck in meiner feinen Baumwollunterhose kündigte meine Periode an und verriet mir, was ich längst hätte wissen müssen, nämlich dass mein Körper zu verdorben war, um neues Leben zu empfangen. Ich war nicht wie Little Mama, die Katze aus dem Keller. Und jener Keller war der Tod des Lebens. Dieser dunkle, muffige, verstaubte Keller hatte mir mein Leben geraubt. An jenem Ort hatte ich mich aufgegeben, meinen Willen für Peter zerstört, und jetzt besaß ich keinen mehr. Mein Wille war tot, deshalb konnte ich ebenso gut auch tot sein.
Und so verfasste ich einen zweiseitigen Abschiedsbrief in ordentlicher Schrift, eine letzte Respektsbezeugung an Poppa. Würde ich jetzt meine Ehre zurückbekommen? Poppa war in der Kneipe, meine Mutter oben im Elternschlafzimmer. Ich hatte mich beschwert, es würde durchs Fenster ziehen, und darauf bestanden, in ihrem Bett im Küchenanbau zu schlafen. Ich konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass mein Tod im Elternschlafzimmer stattfinden würde. Ich holte Poppas große Whiskeyflasche und alle zehn Medizinfläschchen meiner Mutter hervor. Nachdem ich alle mit mehreren Gläsern Whiskey hinuntergespült hatte, ging ich mit der Flasche ins Badezimmer und schluckte den Inhalt der Packungen Tylenol, Advil, Hustensaft, Fiebermittel, Durchfalltabletten, Pepto-Bismol, Vitamine, Codein und jedes andere Mittel aus der Hausapotheke, das ich finden konnte. Die leeren Fläschchen ließ ich auf dem Tisch liegen, die halbleere Whiskeyflasche stellte ich aufs Waschbecken ins Badezimmer. Das Wasser lief, und die Zahnpastatube war leer, weil ich deren Inhalt ebenfalls geschluckt hatte.
27
Der Vertrag
Das Erste, was ich sah, als ich erwachte, war grelles rechteckiges Licht über meinem Kopf. Dann erbrach ich schwarze Flüssigkeit, die wie geschmolzener Asphalt aussah.
»Keine Panik«, sagte ein Mann in Grün. »Wir haben dir Kohle gegeben, damit du dich übergibst. Du hast Glück gehabt. Es wird alles gut; du wirst wieder gesund. Lass einfach alles raus, Kleine! Das machst du gut.«
Mit einer gewissen Faszination stellte ich fest, dass ich kein Mensch mehr war. Ich bestand nur noch aus Schläuchen und Kabeln. An meiner Hand hing ein Tropf, festgeklebt mit transparentem Film. Ich trug keine Unterhose, in mich war ein Katheter geschoben worden. Meine Hände waren frei, aber meine Beine waren mit einem Gurt gefesselt. Ich zappelte heftig,
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