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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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doch der Gurt gab nicht nach.
    »Binden Sie mich los, bitte binden Sie mich los!«
    Die weiße Welt verschwamm um mich herum. Ich schloss kurz die Augen, und das Krankenhauspersonal verschwand. »Macht mich los«, murmelte ich. »Lasst mich bitte gehen.« Es war schwer, die Augen offen zu halten. Schwach zerrten meine Knöchel an ihren Fesseln, und in mir wuchs der Gedanke, dass der Arzt Sex mit mir haben wollte: deshalb hatte er mich angebunden.
    ***
    Als ich zum zweiten Mal erwachte, hörte ich die Stimmen von Poppa und Peter. Sie standen am Fußende meines Bettes und sprachen über mich. Ich stellte mich schlafend.
    »Keine Schäden an den inneren Organen?«, fragte Peter. »Ganz bestimmt nicht?«
    »Keine Schäden. Ich danke Gott dafür. Der Arzt hat gesagt, sie muss dieses Chaos mit Absicht hinterlassen haben, damit ihre Mutter etwas merkt. Es war wohl ein Schrei um Aufmerksamkeit. Sie weiß, dass ihre Mutter nachts immer aufsteht und zur Toilette geht.«
    »Sie hat einen Zettel hinterlassen, hast du gesagt? Cassie hat einen Abschiedsbrief gefunden? Steht darin, warum sie es getan hat?«
    »Sie hat es übertrieben. Deshalb lebt sie noch. Wenn sie nur ein paar Pillen genommen hätte, wäre sie vielleicht gestorben. Aber du siehst ja, alles nur, um auf sich aufmerksam zu machen. Es war reine Show.«
    »Und, was stand auf dem Zettel? Du hast gesagt, du hättest ihn auf dem Weg zum Krankenhaus gelesen. War darauf von ihrer Mutter die Rede oder von dir oder mir oder Inès?«
    »Ich habe den Brief dem Arzt gegeben. Der kann ihn meinetwegen an die Psychologen weiterreichen, die da in der Jugendabteilung rumlaufen. Ergab alles überhaupt keinen Sinn. Kurt Cobain, Ouija -Bretter. Sie schrieb, dass sie über das Ouija -Brett mit ihm Kontakt aufgenommen hätte. Ich wusste überhaupt nicht, dass sie so was besitzt. Es ist gefährlich, damit rumzuspielen. Warum hast du sie nicht davon abgehalten?«
    »Sie hat es mit Inès gemacht. Ich dachte, es wäre harmlos. Und mehr stand nicht auf dem Zettel? Kurt Cobain und das Ouija -Brett?«
    Ich fragte mich, warum er die ganze Zeit auf dem Brief herumritt. Ich lebte schließlich noch. Alles andere sollte Peter egal sein.
    »Kurt Cobain. Ihre große Liebe, ein Heroinsüchtiger. Der Zettel war total krank. Man merkte, dass ihn ein kranker Mensch geschrieben hat.«
    »Diese Schwärmerei ist ungesund«, sagte Peter. Ich konnte es nicht fassen, dass er sich mit Poppa gegen mich verbündete. Ich wollte nicht länger darüber nachdenken. Doch mit der Medizin, die ich intus hatte – was auch immer man mir gegeben hatte –, war der Schlaf nicht weit.
    ***
    In der Jugendabteilung gab es einen total süßen Typen, der seine eigenen Tätowierungen mit einem Messer herausgeschnitten hatte. Für die Gruppentherapie, die ich mit ihm besuchte, legte ich roten Lippenstift auf; meine Mutter hatte ihn mir zusammen mit meinen Klamotten bringen müssen. Mommy konnte aufgrund all ihrer Medikamente natürlich nicht weinen. Es war schwer zu sagen, was sie dachte, ob sie sich Sorgen machte, dass ich enden würde wie sie oder wie meine Zimmernachbarin Shawna, die sich auf jede Wange einen großen Klecks Gesichtscreme machte. Wenn eine Krankenschwester ihr sagte, sie solle sie verreiben, fuhr sie sie an: »Halt’s Maul und verrecke!« Zum Glück war ich ganz anders als Shawna: Ich war depressiv, aber klar im Kopf.
    ***
    Während meines zweiwöchigen Aufenthalts in der Psychiatrie wurde ich wegen Peter einer richtigen Inquisition unterzogen; ich musste komplizierte Fragebögen ausfüllen, Tintenklecksaufgaben lösen und wurde gezwungen, einen albernen Vertrag zu unterschreiben, dass ich keinen Selbstmordversuch mehr unternehmen würde. Der Psychiater sagte, die Fragebögen verrieten, dass ich eine viel größere Wut auf meine Mutter als auf meinen Vater hätte – für mich ein Beweis mehr, dass diese Leute keine Ahnung hatten. Wie konnte ich wütend auf meine arme Mommy sein? Es war Poppa, der unsere Familie zerstört hatte. Der Psychiater sagte, ich sollte das Beste von Mommy denken, um mich von den bösen Gedanken abzulenken, und trotz meiner Wut auf Poppa würde ich ihn tief in mir immer noch lieben. Nie in meinem Leben hatte ich größeren Blödsinn gehört als das, was diese sogenannten Fachleute von sich gaben.
    Ich blutete immer noch. Um Eindruck zu schinden, erzählte ich meiner neuen Freundin Kim, dass es wahrscheinlich eine Fehlgeburt sei, dabei war meine Periode jedes Mal sehr lang gewesen.

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