Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger
erfüllte ich seinen Kopf mit wunderbarem Geläut, als würde ich ihn überdauern lassen, und er würde dafür auf alle Zeit dankbar sein. Er war tatsächlich so dankbar, dass er meine Knöchel umfasste und rief: »Margaux, Margaux, heil dir, Margaux! Heil dir, Margaux, Margaux, Margaux.«
***
Peter und ich fingen an, uns nur noch in seinem Zimmer aufzuhalten und dort Super Mario Brothers 3 zu spielen, das er gerade für seinen Nintendo gekauft hatte. Ich hatte Peter gezeigt, wie man Mario springen und fliegen ließ, wie man geheime Kammern mit Goldmünzen fand, wo man versteckte Pilze aufstöberte, die Mario größer machten oder ihm ein zweites Leben schenkten, und wie man eine bestimmte Flöte benutzte, die in eine neue Welt, die Warpzone, führte. Nach einer Weile bereute ich, ihm diese Tricks beigebracht zu haben, denn er wurde richtig süchtig nach dem Spiel. Ich beherrschte es weitaus besser als er und hatte die meisten Welten geschafft, so dass es für mich furchtbar langweilig wurde. Oft wollte ich aufhören, aber Peter bestand darauf, weiterzuspielen. Meine Mutter saß auf dem Küchenstuhl, während Peter und ich zusammen spielten.
Leider hatte Richard das Wohnzimmer in Beschlag genommen. Seine eigentliche Freundin Linda hatte ihn im Dezember rausgeworfen, seitdem wohnte er bei Peter und Inès, was Peter nicht gefiel, aber er gestand mir unter vier Augen, dass er nichts einwenden konnte, weil Inès sich sonst darüber beschweren könnte, dass ich inzwischen an sieben Tagen in der Woche da war. In letzter Zeit hatte Richard damit begonnen, überall Geld zu stehlen, um sich Kokain kaufen zu können: von Inès, Peter, sogar von Miguel, der inzwischen einen Teilzeitjob bei Circle Cycle hatte, einem Motorradladen auf der Tonnele Avenue. Richard hatte auch Linda Geld gestohlen; das war auch der Grund gewesen, warum sie ihn vor die Tür gesetzt hatte.
Immer wenn Peter und ich uns um das Nintendo stritten, spielte meine Mutter den Schiedsrichter und schlug Kompromisse vor: »Margaux, lass Peter noch ein paar Runden spielen, und dann gehst du los und leihst ein Video aus« oder: »Wir müssen eh gleich zu Mittag essen, es ist schon spät«. Meine Mutter war jedoch nicht immer dabei. Eines Tages gerieten Peter und ich uns in die Haare, während meine Mutter bei Pathmark war. Ich regte mich dermaßen über Peters Weigerung auf, mit dem Spielen aufzuhören, selbst nachdem ich ihm gedroht hatte, die Konsole mit dem Hammer kaputtzuschlagen, dass ich eine Handvoll Zigaretten aus der Packung nahm, sie durchbrach und in seinen Kaffee warf. Peter wurde so sauer, dass er ganz allein mit Paws nach draußen ging und über eine Stunde fortblieb. Als er zurückkam, hatte ich den Kopf unterm Kopfkissen versteckt. Schnell nahm mich Peter in die Arme und sagte, er sei nicht mehr böse. Mommy, die mich nicht hatte beruhigen können, sagte: »Siehst du, Margaux, hab ich dir doch gesagt, ihr beiden vertragt euch wieder. Ich hab dir gesagt, dass Peter nicht für immer weg ist.«
***
Ein anderes Mal, als meine Mutter unterwegs war, stritten wir uns. Peter schlug mir ins Gesicht, und ich kratzte ihn am Arm. Ein dünner gezackter Blutstreifen bildete sich.
»Guck dir an, was du getan hast! Das muss ich reinigen«, sagte er. »Ich kann nur hoffen, dass Inès dir nicht verbietet zu kommen, wenn sie das sieht.«
»Dann geh halt nicht raus«, sagte ich.
»Was soll ich denn sonst tun? Hier bei dir bleiben? Ich muss mir deine Misshandlungen nicht gefallen lassen.«
Er ging mit seinem Kaffee aus dem Zimmer, ich versteckte mich unter der Bettdecke. Ich hasste ihn, weil er rausging.
Dann machte ich seine Tür einen Spaltbreit auf und sah zu, wie er in Gegenwart von Inès die Wunde in der Spüle säuberte. Sie fragte: »Was ist denn mit deinem Arm passiert?«
»Margaux. Ist aber nicht so schlimm. Wir hatten einen kleinen Streit.«
»Und da hat sie dich so schlimm gekratzt? Um was ging’s denn?«
»Ach, um das Nintendo . Egal, manchmal ist sie einfach ein bisschen labil. Du weißt schon, weil sie in so einer chaotischen Familie groß wurde.«
»Du hast jedenfalls ziemlich viel Geduld mit ihr.«
Am liebsten hätte ich Inès zugerufen, dass er mich zuerst geschlagen hatte, doch stattdessen stellte ich fest, dass ich sie mit solcher Inbrunst aus tiefster Seele verachtete, dass ich nicht mal mehr böse auf Peter sein konnte, als er zurückkam. Er hatte den Arm frisch bandagiert und sagte, wir sollten mit dem Motorrad rausfahren, um auf
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