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Tiger Unter Der Stadt

Titel: Tiger Unter Der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kilian Leypold
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würde stolz auf ihn sein – oder ihn verdreschen. Alles war möglich.
    Ohne Licht zu machen verließ Jonas den Keller. Niemand sollte ihn sehen.

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    |169| Ein falscher Tritt
    Der Himmel zwischen den Hochhäusern wechselte gerade die Farbe. Sein mattes Blau wurde immer dunkler und dort, wo das Blau
     schwarz wurde, stand der Mond. Er hatte eine dunkelgelbe, fast rötliche Farbe und erinnerte an einen schimmernden Topfdeckel.
     Mit Delle am Rand. Bald würde er voll sein.
     
    Kein Mensch war zu sehen, als Jonas die neue Asphaltstraße betrat, die zur Baugrube führte. Am Horizont sah er eine weiße
     Lichtglocke. Die Straße führte genau darauf zu. Dort gossen die Drahtflechter noch immer flüssigen Beton über ihre Metallgitter.
     Entferntes Dröhnen drang aus dieser Richtung zu Jonas. Er stand neben einem nagelneuen Straßenschild.
Mahagonnystraße
stand darauf. Jetzt hatte also auch diese Straße einen Namen.
    Klang gut, nach fremden Ländern. Aber bestimmt war der, der sich den Namen ausgedacht hatte, nie hier gewesen. Jonas hätte
     die Straße
Tante-Tiger-Allee
genannt, weil Tante Tiger unter dieser Straße zum ersten Mal gesprochen hatte.
    Vor der hellen Lichtglocke bemerkte Jonas jetzt den Umriss eines Menschen. Er stand ein ganzes Stück entfernt auf der Straße
     und winkte wie verrückt. Das konnte nur einer sein. Jonas rannte los.
    |170| Lippe stand neben einer großen Plastiktüte, die mit einem dünnen Seil umwickelt und verschnürt war. Er steckte in einer schäbigen
     schwarzen Cordhose, die ihm etwas zu kurz war, und einer löchrigen Jeansjacke. »Wo bleibst du denn?« Er zappelte mit Händen
     und Füßen. »Ich bin schon gar nicht mehr da, so oft wollte ich schon wieder heimgehen.«
    »Ging nicht schneller«, sagte Jonas. »Mein Vater wollte unbedingt mit mir reden, ich weiß auch nicht, was heute mit ihm los
     war. Er hat mir sogar seine Taucheruhr gegeben.« Jonas schob den Ärmel zurück und zeigte Lippe die Uhr.
    »Tolles Gerät …« Lippe stockte, riss die Augen auf und sah Jonas an. »Mensch, Nase, hast du ihm von unserer Expedition erzählt?«
    Jonas schüttelte den Kopf, während er die Brechstange aus seinem Rucksack zog. »Spinnst du? Dann wär ich nicht hier.« Er setzte
     die Brechstange an und stemmte den Kanaldeckel in die Höhe. Ihm lief der Schweiß über den Rücken, es war immer noch viel zu
     warm. Lippe half ihm und gemeinsam wuchteten sie den Gullydeckel zur Seite.
    »Was ist das eigentlich?«, keuchte Jonas und deutete mit der Brechstange auf das große verschnürte Bündel.
    »Das ist Tante Tigers einzige Chance!«, sagte Lippe. »Ich zeig’s dir später.« Er zerrte das Bündel zu dem offenen Einstiegsschacht
     und ließ es hineinfallen. Ein dumpfes Klatschen drang nach oben. Lippe hatte recht, sie würden beide Hände zum Hinuntersteigen |171| brauchen. Jonas nahm die drei Schwimmwesten und schmiss sie hinterher. Wie angeschossene Vögel trudelten sie in die Dunkelheit.
     Ein flaues Gefühl beschlich Jonas.
    »Ich hab mir alles genau überlegt«, sagte Lippe neben ihm. »Und es kann natürlich schiefgehen. Das ist die Wucht des Zufalls,
     wenn der voll einschlägt, kann er auch den besten Plan zerschmettern. Aber wir haben ja einen Tiger an unserer Seite.«
    Jonas fielen sofort mehrere Dinge ein, die gerade
wegen
des Tigers schiefgehen konnten, aber er schwieg; Reden brachte jetzt nichts, sie mussten es einfach probieren.
    Lippe hatte inzwischen das Gummigeflecht seiner Stirnlampe über den Kopf gezogen und war schon bis zur Hüfte im Boden verschwunden.
     Jonas zog ebenfalls seine Taschenlampe heraus und klemmte sie zwischen die Zähne. Im selben Moment, in dem Lippe seine Lampe
     einschaltete, hörte Jonas ein Geräusch, ein metallisches Surren. Sein Herzschlag beschleunigte. Das durfte nicht wahr sein,
     nicht jetzt! Aus der Dämmerung lösten sich zwei Fahrräder.
    Einen Augenblick später kamen sie schlitternd neben dem offenen Gullyschacht zum Stehen. Bschu und Büm, Büm und Bschu. Sie
     trugen flatternde Hosen und Hemden; Bschu wie immer in Schwarz und Weiß. Büm konnte kaum ihr Fahrrad halten, weil sie beide
     Hände vor den Mund presste, so sehr musste sie kichern.
    »Was wollen die denn hier?«, zischte Lippe Jonas zu.
    |172| Bschus Grinsen wurde noch spöttischer. »Schau, schau, die Brautfrau kommt auch mal wieder raus aus ihrem Loch. Ist wirklich
     Supermode, dein Leuchthut, und die Leuchtzigarre von der Nase sieht auch sehr, sehr gut aus. Geht

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