Tiger Unter Der Stadt
ihr tanzen? Oder was?« Schnell
nahm Jonas die Taschenlampe aus dem Mund. Lippe starrte Bschu wütend an. Sie verzog ihre schmalen Lippen zu einem Schmollmund.
»Ehrlich, wir wollten so gern mal wieder mit euch über Liebe und Eheleben reden. Aber jetzt ist nicht so guter Augenblick,
was? Ist gerade Ehekrise oder warum guckt ihr so böse? Klettert ihr deswegen in die Erde, damit keiner was mitkriegt?«
»Wenn du wüsstest, was unter deinen Füßen vor sich geht …« Lippe gab seiner Stimme einen bedrohlichen Klang. »Dann würdest
du keine Witze machen, sondern auf die Knie fallen und beten, dass wir lebend wiederkommen.«
Jonas bewunderte Lippe. Immer fiel ihm irgendwas ein.
»Oh!« Bschu riss Mund und Augen weit auf. »Ich weiß, was da unten ist.« Sie macht eine Pause. »Große Scheiße!«, sagte sie
dann und fing sofort an zu lachen und zu prusten. Büm kreischte ebenfalls los.
»Genau«, sagte Lippe in schneidendem Tonfall. »Da unten im Reich der Kacke hausen die großmäuligsten und albernsten Kanalratten,
die es gibt. Ihre Vorfahren, heißt es, stammen aus der Puntilastraße. Aber da unten haben sie sich dann zu richtig üblen Biestern
entwickelt und jetzt bedrohen sie mit ihren Großmäulern |173| die gesamte zivilisierte Welt. Sie wollen uns alle totlachen und dann verschlingen. Das ist ihr fürchterlicher Plan.« Er schwieg
kurz. »Das ein oder andere Exemplar soll schon an der Erdoberfläche gesehen worden sein.«
Bschu und Büm lachten noch lauter.
»Wir werden jetzt die Lebensweise dieser Ratten erforschen«, fuhr Lippe fort, »um die Menschheit vor dem Untergang zu retten.«
Er sah entschlossen drein und Jonas setzte sein grimmigstes Gesicht auf.
Bschu und Büm krümmten sich vor Lachen. Als sie wieder bei Atem waren, sagte zum ersten Mal Büm etwas. »Ihr seid die lustigsten
Jungs, die wir kennen. Wirklich. Können wir mitkommen? Wir kennen uns aus mit Wesen aus der Puntilastraße.«
Jonas schluckte. Büm hatte ihn angesehen, als sie sprach. Er spürte, wie er rot wurde; zum Glück hatte er die Kapuze hochgezogen.
Bschu saß abwartend auf ihrem Rad, während Büm ihn immer noch ansah. Lippe wiederum starrte Büm verdattert an. Es blieb Jonas
also nichts anderes übrig, als selbst zu antworten.
»Also, das geht nicht«, stotterte er. »Wir gehen auf eine gefährliche Expedition, ehrlich, und wir haben nur drei Schwimmwesten
und fast nichts zu essen und nur ein kleines Stück Seife … äh, ja … also, das langt nicht für so viele … außerdem stinkt es
da unten so schlimm, dass man …« Jonas stockte. Ja, wie schlimm roch es denn? Wie sollte er das sagen? »Fast erstickt!«, stieß
er dann hervor.
|174| »Na gut«, sagte Büm, ihre Lippen kräuselten sich schon wieder. »Ich kann Ratten sowieso nicht ausstehen.« Sie sah Jonas mit
ihren fast violetten Augen an. Jonas wurde noch heißer.
»Ich auch nicht«, flüsterte er.
»Für wen ist denn die dritte Schwimmweste?« Bschus Augen blitzten noch mehr als die Goldkettchen an ihren Armen.
Die Frage riss Lippe aus seiner Erstarrung. »Für unseren Tiger. Was denkst du denn?«
»Ach ja, Mann, der grausame Tiger«, sagte Bschu. »Der sitzt auch da unten, ja?« Sie musste einen kurzen Lachanfall unterdrücken.
»Ihr seid wirklich totale Helden. Wenn ich so Mut hätte wie ihr und einen Tiger, würd ich eine Leine mitnehmen und frische
Klamotten. Im Klärwerk ist heut nämlich Party.«
Jonas und Philipp starrten sie an.
»Glotzt nicht so«, sagte Bschu. »Stimmt bestimmt. Da war Musik und buntes Licht.«
»Wirklich?«, fragte Lippe.
Bschu nickte.
»Äh, danke …«, sagte Lippe. »Das ist gut, ähm … gut zu wissen … hm … könntet ihr uns einen Gefallen tun?«
»Vielleicht.« Bschu kniff die Augen zusammen. Jonas sah, dass sie in diesem Moment begriff, dass es ihnen wichtig war, auch
wenn sie nicht genau wusste, was sie da unten wollten.
»Kriegt ihr den Gullydeckel über den Schacht, wenn wir verschwunden sind?«
|175| »Machen wir«, sagte Bschu. »Aber ihr müsst was mitbringen als Bezahlung für die Arbeit … sagen wir … den Skalp einer Kanalratte.«
Sie grinste ihr schiefstes Grinsen.
»Und ein Schnurrhaar vom Tiger«, ergänzte Büm und lächelte ihr süßestes Lächeln. So süß, dass Jonas meinte, Honig auf seinen
Lippen zu schmecken.
Das Poltern und Knirschen des Gullydeckels rollte wie Donner durch den engen Schacht. Das Letzte, was Jonas vor dem kreisrunden
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