Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tiger Unter Der Stadt

Titel: Tiger Unter Der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kilian Leypold
Vom Netzwerk:
Wie gebannt starrte
     sie auf die Ratte. Die blieb stehen, schnupperte zu Jonas hinüber, wendete den Kopf, schnupperte in Lippes Richtung und sprang
     dann mit einer blitzartigen Bewegung auf das Schlauchboot.
    »Hilfe! Ein Ratz, ein leibhaftiger Ratz! Rettet mich! Hilfe!«, brüllte Tante Tiger. Sie drückte sich an die äußere Bootswand,
     Abwasser schwappte herein und spritzte auf, als es von dem wild hin- und herpeitschenden Tigerschwanz getroffen wurde.
    »Pack sie!«, schrie Lippe,
    »Achtung das Boot!«, Jonas,
    »Mach sie fertig!«, Lippe,
    »Vorsicht mit den Krallen!«, wieder Jonas.
    Verschreckt raste die Ratte den Rand des Schlauchboots entlang auf Tante Tiger zu. Aufbrüllend vor Schreck, holte die mit
     ihrer mächtigen Pranke aus und schlug nach der Ratte. Die wich aus und sprang auf den Boden des Bootes. Wie eine Wilde schlug
     Tante Tiger jetzt mit ihrer Tatze nach der Ratte. Auf einmal zischte es.
    »Verdammt! Jetzt ist ein Loch im Boot!«, stöhnte Lippe.
    Die Ratte war inzwischen wieder auf den Bootsrand gehüpft und wählte den einzigen Ausweg, der ihr noch blieb: den Strick,
     der vom Boot zu Jonas’ Hand führte. Kopfüber krabbelte sie direkt auf Jonas verkrampfte Finger zu.
    »Nein!«, hauchte Jonas und ließ los.
    |189| Die Ratte versank samt Strick in der braunen Flut.
    Stumm vor Schreck sahen Jonas und Lippe zu, wie das Boot mit dem Tiger in die Finsternis trieb.
     
    Irgendwann sagte Lippe: »Es ist bestimmt nur ein kleines Loch in einer kleinen Kammer. Das Boot trägt sie bestimmt noch.«
    »Sie hat ja auch die Schwimmweste.« Jonas sah seinen Freund an. Lippe sah Jonas an. Dann hasteten sie los, dem Boot hinterher.
    Richtig rennen konnten sie nicht, dazu war das Sims zu schmal, zu glitschig, und es war zu dunkel. Lippes Lampe gab zu wenig
     Licht. Mit jedem Schritt glaubte Jonas ins Nichts zu treten. »Warte!«, keuchte er und Lippe blieb stehen. Er streckte die
     Hand aus und zog Jonas hinter sich her. So ging es besser.
    Nach einer Weile hörten sie ein Rauschen, das nach und nach lauter wurde, bis es das Tropfen, Gurgeln und Schmatzen um sie
     herum übertönte; es klang wie eine riesige Klospülung, die ununterbrochen gezogen wurde. Noch ein paar Schritte, und die Tunnelwände
     wichen zurück. Das Rauschen war hier fast schon ein Tosen. Lippe drehte den Kopf von links nach rechts und der dünne Strahl
     seiner Lampe wanderte über gekrümmte Wände. Sie standen in einem hohen, kreisrunden Raum. Eine Tür war nirgends zu entdecken.
     Der Kanal verlief mitten durch den Raum, war aber deutlich schmaler, sodass die braune Brühe schäumend und strudelnd auf die
     Wand zuschoss. Dort verschwand sie zwischen Gitterstäben in einem schwarzen |190| Loch. Als Lippes Lampenstrahl die Gitterstäbe streifte, machte Jonas’ Herz einen Sprung. In den Strudeln vor dem Gitter schwankte
     der Tiger! Von dem Schlauchboot war nur noch ein dünnes orangenes Oval zu sehen, und in dem gefluteten Boot stand Tante Tiger
     und blinzelte jämmerlich in den Lampenstrahl: »Helft mir bitte! Es geht mir schon bis zum Bauch.«
    »Warum springen Sie nicht?«, rief Jonas.
    »Ich trau mich nicht«, brüllte Tante Tiger. »Es wackelt furchtbar und alles gibt nach. Wie soll ich mich da abstoßen?«
    Das Boot war zwar nicht weit, aber doch so weit entfernt, dass sie es nicht erreichen konnten. Jonas malte sich schon aus,
     wie Tante Tiger von dem stinkenden Strom gegen die Gitterstäbe gepresst wurde, da fiel sein Blick auf den Tigerschwanz, der
     wie der Mast eines sinkenden Schiffes schräg in die Luft stand.
    »Der Schwanz!«, rief Jonas. »Strecken Sie ihn zu uns rüber!«
    Tante Tiger sah ihn ängstlich an, dann plötzlich hatte sie verstanden. »Ich will’s versuchen. Wenn das vermaledeite Ding nur
     einmal machen würde, was ich will.«
    Der Tigerschwanz fing an zu zittern, schlug dann wilde Figuren in die Luft, aber schließlich gelang es Tante Tiger, ihn waagrecht
     über das Wasser zu halten. Lippe hielt Jonas an der Hand. Jonas spürte, mit welcher Mühe Lippe die Hand festhielt, so feucht
     war sie. Jetzt stand Jonas nur noch auf einem Bein, sein Körper hing schräg über dem brodelnden Abwasser, Gischt benetzte
     seine Haut und der Gestank raubte |191| ihm fast den Atem. Er konzentrierte sich auf die zitternde Tigerschwanzspitze, dachte nicht mehr an die glitschigen Hände
     und den rutschigen Boden. Immer weiter und weiter streckte sich Jonas – bis seine freie Hand nach vorn

Weitere Kostenlose Bücher