Tijuana Blues
Mikrofon die Angebote verkündete.
»Sie erlauben«, sagte er und schob sie beiseite. »Meine Damen und Herren«, hallte es klar und deutlich durch die Lautsprecher. »Eine dringende Mitteilung. Es geht um die versuchte Entführung eines Mädchens. Sie ist in der Gewalt einer Frau mit zu Zöpfen geflochtenen schwarzen Haaren, indianischen Zügen, gekleidet wie eine Tehuana. Wenn Sie sie in diesem Laden sehen, halten Sie sie fest!«
Die Leute waren betroffen und reagierten sofort. Sie umstellten die Indiofrau und das Mädchen. Man hörte Geschrei und Flüche. Und dann stürzte die Meute sich, angeführt von drei Walküren, wie ein reißender Fluss auf die Entführerin.
»Warte, du verdammtes Miststück!«
»Hexe, Hexe!«
»Was glaubst du? Dass du einfach so Kinder stehlen kannst?«
Ein älterer Herr zog das Mädchen von dem Spektakel weg. Morgado war erleichtert. So eine Energie binnen weniger Sekunden hatte er noch nie gesehen. Die Frauen und Mütter schienen sich um die Ehre zu streiten, die Indiofrau zu ohrfeigen, zu kratzen, zu treten und mit ihren Taschen auf sie einzuschlagen. Ich hoffe, ich habe mich nicht geirrt, dachte Morgado, während er sich unter die Leute mischte.
Die Indiofrau versuchte eine Pistole zu ziehen, aber die Tasche, in der sie sie aufbewahrte, flog in hohem Bogen durch die Luft. Die restlichen Frauen stürzten sich auf sie.
»Ich will nicht gehen, ohne ihr eine verpasst zu haben«, rief eine Frau neben Morgado aus und wartete ganz gelassen und stolz darauf, dass sie an die Reihe kam.
»Macht mal Platz!«, rief ein altes Mütterchen und hob ihren Stock. Als sie sie sahen, machte ihr eine der Walküren Platz, damit auch das Mütterlein zum Zuge kam.
Morgado wusste nicht, was er tun sollte. Er selbst wurde von den Lynchbesessenen hin und her geschubst, die es genossen, sich Luft machen zu können. Die Indiofrau war in der Masse zorniger Mütter förmlich untergegangen. Nicht einmal Comandante Ramos und ein Dutzend Polizisten konnten viel machen. Sie musste die Frauen eine nach der anderen wegzerren. Und die verließen nicht das Geschäft, ohne sich zur Erinnerung ein Stück vom Gewand der Tehuana mitzunehmen, das bald berühmt werden sollte.
Den echten Namen Molly Hernández Hacker erfuhr Morgado erst eine Woche später. Als sich der Tumult aufgelöst hatte, hatte man festgestellt, dass die Tehuana, with a little help from her friends, im Jenseits gelandet war.
»Fall abgeschlossen«, flüsterte Comandante Ramos.
»Nein! Die amerikanische Seite noch nicht. Man muss die festnehmen, die die Organe der Kinder gekauft haben. Die Komplizen. Die in Dollars gezahlt und ihre Hände in Unschuld gewaschen haben.«
»Das ist die Aufgabe der übergeordneten Behörden beider Länder, nicht unsere.«
Morgado betrachtete die sterblichen Überreste der Frau. Von dem Gewand waren nur noch Fetzen übrig. Die Perücke mit den Zöpfen war verschwunden. Auf ihrem eingeschlagenen Schädel war lediglich streichholzkurzes Haar.
»Hier ist eine Tasse kaputtgegangen«, flüsterte Comandante Ramos ironisch.
»Und jetzt alle husch, husch nach Hause«, sagte Morgado. »Ich habe die Botschaft verstanden.«
»Und hier ist noch eine: Doktor Esparza wartet in Ihrem Hotel auf Sie. Erst will sie sich darum kümmern, dass das um ein Haar entführte Kind und die im Calimax durchgedrehte Mutter medizinisch gut versorgt werden, und dann wird sie sich mit Ihnen treffen.«
»Vielen Dank für alles«, sagte Morgado.
Comandante Ramos klopfte ihm auf den Rücken. »Sie brauchen auch ein gutes tune up, eine Generalüberholung. Man sieht, dass es Ihnen heute verdammt elend ergangen ist.«
»Aber mit glücklichem Ende.«
Comandante Ramos senkte den Blick und schaute auf die Leiche der Frau. »Ist das ein glückliches Ende? Ich wusste nicht, dass Sie einen genauso makabren Humor haben wie ich.«
»Da sehen Sie es, Comandante. Es wird überall nur mit Wasser gekocht. In Mexicali wie in Oaxaca. In ganz Mexiko gibt es viel angestaute Energie, die kurz davor ist, zu explodieren.«
»Ruhen Sie sich aus! Lassen Sie uns den Dreck unter den Teppich kehren und das Blut wegwischen, okay? Das ist unser Job.«
Müden Schrittes verließ Morgado das Geschäft. Auf dem Parkplatz lehnte er das Angebot der Polizisten ab und nahm ein Taxi zum Hotel.
»Was ist los, junger Mann?«, fragte ihn der Taxifahrer. »Haben Sie auch an der Apachenrache teilgenommen?«
»Was für eine Apachenrache?«
»Haben Sie denn nicht San Bermúdez
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