Tim (German Edition)
allerdings neidisch darauf, dass du mit Tim zusammen bist, während ich nicht bei ihm sein kann. Aber das ist unser Schicksal. Genießt eure Zeit zusammen. Tim und ich werden ein Leben lang Zeit miteinander verbringen.
Charlie
P.S. Ich hoffe es stört dich nicht, wenn ich Tim eine Kopie deines Briefes und meiner Antwort darauf schicke. Er hat wirklich recht: wir sagen uns immer die Wahrheit.
In meinem Brief an Tim fragte ich nicht nach Sex, sondern stellte ihm Fragen zu seinen Noten, nach dem Turnen und dem Turmspringen. Die Wettbewerbe im Turmspringen gingen bald los und ich fragte ihn nach seinen Erwartungen. Ich fügte meinem Brief ein kleines Update zu meinen Vorlesungen hinzu und erzählte ihm, dass ich meine Abschlussarbeit über Isokrates schreiben würde. Ich hatte ihn schon einmal in einem meiner Briefe erwähnt, in dem ich Tim von meinem Studium erzählt hatte. Deshalb war ich mir sicher, dass Tim wusste, wer Isokrates war. Zum Schluss erzählte ich ihm noch von einer Unterhaltung, die ich mit meinem Studienberater hatte. Sein Name war Eugene und ich war in meinem Abschlussjahr sein Assistent. Da wir uns regelmäßig sahen, bat er mich darum, ihn Gene zu nennen.
»Charlie, du hast dich im letzten Jahr so dramatisch verändert. Irgendetwas ist vor einem Jahr passiert. Kann man das auch den anderen Studenten transplantieren?« Er grinste über seinen gelungenen Scherz.
»Gene, ich bin mir nicht sicher, ob ich darüber reden sollte. Es ist eine glückliche Geschichte. Aber auch sehr persönlich.«
»Ich wollte mich nicht in deine Angelegenheiten einmischen«, sagte er schnell. »Aber es ist so ein großer Erfolg und ich dachte, du würdest es gerne mit jemandem teilen.«
»Das würde ich gerne, aber nur ganz im Vertrauen.«
»Ich kann schweigen. Das sage ich nicht, um dich zum reden zu bringen. Es bleibt wirklich unter uns.«
Ich holte tief Luft und dachte einen Moment nach.
»Eigentlich ist es ganz einfach, aber gleichzeitig auch wieder sehr kompliziert,« sagte ich schließlich. »Ich bin verliebt.«
»Eine Menge Studenten hier am College sind verliebt, aber niemand hat sich so extrem im positiven Sinne verändert wie du.«
»Ich glaube, ich sollte im vorletzten Sommer beginnen. Das war nach meinem zweiten Jahr hier. Ich hatte einen Job als Betreuer in einem Sommercamp. Die letzte Gruppe, die ich in dieser Zeit hatte, war außergewöhnlich. Einer von ihnen war ein ziemlicher Verlierer. Die anderen Jungs, besonders drei davon, haben beschlossen, ihn zu ändern. Er willigte ein und sie haben aus ihm einen neuen Menschen gemacht. Aus einem schüchternen, unglücklichen Jungen ist ein kontaktfreudiger und aufgeweckter Teenager geworden. Und obendrauf ist dieser Junge heute so etwas wie der Geländelauf-Star seiner High School .«
»Und das in einem Monat?«
»Zwei Wochen«, antwortete ich und musste über Gene‘s ungläubigen Gesichtsausdruck grinsen. »Mehr Zeit hatten sie nicht zusammen.«
»Klingt unwahrscheinlich«, murmelte er. »Ich würde nicht behaupten, dass du lügst, aber meinst du nicht, dass es ein bisschen übertrieben ist?«
»Überhaupt nicht. Ich würde es auch nicht glauben, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Aber als wir einmal anfingen, ging alles ganz schnell. Mit der Unterstützung der anderen Jungs blühte er förmlich auf.«
»Und die anderen haben ihn dazu gebracht, sich so zu verändern?« fragte er, noch immer ungläubig.
»Ja.«
»Und er war damit einverstanden?«
»Ja. Und er hat sich den Hintern abgerackert. Sie waren ziemlich hart zu ihm, vor allem am Anfang. Sie haben sein Outfit geändert, ihm die Haare geschnitten, in die Sonne geschickt, durch das Camp gejagt, auf dem Trampolin gequält, ihm Bälle zugeworfen und sie sind mit ihm gelaufen. Besonders an letzterem hat er Gefallen gefunden.«
»Und was hat das mit dir zu tun?«
»Dieses Beispiel, sein Name war übrigens Hal, brachte mich zum nachdenken.«
»Aber du hattest etwas von Liebe gesagt. Ich habe nicht gesehen, dass du im vergangenen Jahr oft ausgegangen bist. Oder habe ich etwas verpasst?«
»Nein«, antwortete ich und machte eine kurze Pause. »Meine Liebe ist in Minneapolis.«
»Wo hast du sie kennen gelernt?« fragte er.
»Das ist der Punkt, an dem das Thema heikel wird. Aus zwei Gründen.«
»Warum heikel?«
»Es ist keine sie.«
»Ich verstehe. Und der zweite Grund?«
»Er ist erst 15 Jahre alt.«
»Das ist ungewöhnlich«, antwortete er und überlegte einen Moment.
Weitere Kostenlose Bücher