Tim und Charlie (Tim: Teil 2) (German Edition)
E-Mail, in der er mir geschrieben hatte, dass Tim schwul ist und dass er dachte, dass ich ebenfalls schwul war.
»Du dachtest, dass Charlie schwul sein könnte?«, fragte meine Mutter überrascht. »Wir kennen unseren Sohn seit 24 Jahren und wären nie auch nur eine Sekunde auf den Gedanken gekommen.«
»Sie sind auch kein sexy aussehender Junge«, sagte Tim und kicherte. »Ich war es und —«
»Du bist es immer noch«, warf ich ein.
» Und Charlie konnte einfach nicht die Augen von mir lassen«, fuhr er fort und schaute mich liebevoll an. »Ich hatte den Eindruck, dass er noch auf dem Parkplatz versuchte, mich mit den Augen auszuziehen. Ich hatte recht«, sagte Tim in einem nüchternen Ton.
Mom und Dad überschlugen sich mit Fragen über Norman‘s E-Mail, was wiederum zu meinem Besuch in Minneapolis führte. Das führte wiederum zu noch mehr Fragen, hauptsächlich über Norman und Betsy. Meine Eltern konnten nicht glauben, was sie da hörten.
»Ihr wollt uns allen Ernstes erzählen, dass dieser Junge mit 14 Jahren aus dem Sommercamp nach Hause kam und seinen Eltern einfach so erzählt hat, dass er in seinen Betreuer verliebt war?«, fragte Dad.
Tim und ich nickten.
»Dass dieser Betreuer versucht hat, ihn zu entmutigen, am Ende aber nachgegeben und es zugelassen hat?«, fuhr Dad fort. »Und dass dieser Junge seinen Betreuer für ein Wochenende zu sich nach Hause einladen wollte und dessen Eltern das einfach so erlaubt haben. Sie haben diesen Betreuer mit offenen Armen empfangen und euch beide ermutigt, eure Beziehung weiterzuführen? Habe ich das richtig verstanden?«
»Fast«, antwortete Tim. Er schmunzelte einen Augenblick lang. »Es war nicht meine Idee, Charlie für ein Wochenende einzuladen, sondern die Idee meiner Eltern. Wie konnte ich da nein sagen?«
»Das kann ich einfach nicht glauben«, sagte Mom. »Was für eine Art Eltern hast du überhaupt, Tim?«
Der Unterton in ihrer Stimme war kaum zu überhören.
»Sehr liebevolle«, antwortete Tim gelassen. »Wir gehen in unserer Familie sehr offen miteinander um und wir reden wirklich über alles. Ich hatte mit 11 zum ersten Mal den Gedanken, dass ich schwul sein könnte. Ich wusste, dass ich mit meinen Eltern auch darüber reden kann. Ein Jahr später haben wir über Masturbation gesprochen.«
Ich schaute meine Eltern an. Mein Vater wurde etwas rot. Doch Tim setzte seinen Monolog einfach fort.
»Ich lebe in einer Welt, in der es völlig normal ist, offen mit seinen Eltern über alles zu reden. Nur wenn ich darüber mit meinen Freunden in der Schule rede, wird mir immer wieder bewusst, wie ungewöhnlich unsere Familie ist.«
»Wir waren immer der Meinung, dass wir eine gute Beziehung zu Charles hatten«, seufzte Mom.
»Ich möchte nicht unfreundlich sein«, sagte Tim. »Aber lassen Sie mich Ihnen ein paar Fragen stellen.«
Meine Eltern schauten ihn neugierig an.
»Wie viel wissen Sie darüber, warum Charlie an der Columbia versagt hat? Wie regelmäßig hat Charlie in der High School seine Hausaufgaben gemacht? Wie oft hat er für den Unterricht die Bücher gelesen, die er lesen sollte? Hatte er während der High School oder im College jemals Sex mit einem Mädchen? Wie alt war Charlie, als er angefangen hat zu onanieren? Tut er es? Es tut mir leid, aber ich glaube nicht, dass Sie Charlie wirklich kennen. Ich könnte all diese Fragen beantworten.«
Er hätte noch hinzufügen können, dass seine Eltern diese Fragen ebenfalls beantworten könnten. Ich war mir aber sicher, das wäre ein bisschen zu viel für meine Eltern geworden. Meine Mom hatte für gewöhnlich immer und für alles eine Antwort. Aber hier hatte Tim ihr den Wind aus den Segeln genommen. Ich fragte mich, ob er den richtigen Kurs gewählt hätte.
»Aber das erklärt noch lange nicht, warum deine Eltern ein Verhältnis mit deinem Betreuer unterstützt haben«, stellte Dad fest.
Er hatte zuerst seine Stimme wieder gefunden. Mom starrte uns immer noch ungläubig an.
»Meine Eltern haben mir schon früh beigebracht, dass ich nicht ihre Erlaubnis brauche, um jemanden zu lieben. Oder um Sex mit jemanden zu haben«, antwortete Tim nüchtern. »Mein Dad sagt immer, es ist sein Job, mich zu lieben und mich zu führen. Meine Entscheidungen muss ich jedoch selbst treffen. Mein älterer Bruder Carl wurde genauso erzogen.« Tim machte eine kurze Pause, bevor er weiter sprach. »Sie hätten mir verbieten können, Charlie zu sehen. Aber Charlie hatte bereits gesagt, dass wir uns nicht
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