Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Timeless: Roman (German Edition)

Timeless: Roman (German Edition)

Titel: Timeless: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Monir
Vom Netzwerk:
ein Zimmer. »Hättest du dir nicht etwas Dezenteres einfallen lassen können?«, fragte Michele und rollte mit den Augen.
    Lily hielt es nicht für nötig zu antworten. Sie war sichtlich stolz auf ihren neuen Namen. Als sie den Empfangschef bat, ein Taxi für sie zu bestellen, sah sich Michele im Foyer um. Mondäne Frauen in extravaganten Nerzmänteln stöckelten in hochhackigen Schuhen über die dicken Perserteppiche, und Männer mit einem Zylinder auf dem Kopf und elegantem Spazierstock in der Hand saßen auf französischen Stühlen und Sofas. Die Kronleuchter tauchten die Menschen im Foyer in grelles Licht.
    Plötzlich griff jemand nach Micheles Hand. Sie wandte sich um und sah in Lilys Gesicht, das vor Aufregung leuchtete. »Das Taxi wartet draußen. Jetzt geht’s los.«
    Michele und Lily verließen das Plaza durch den Haupteingang und steuerten auf ein gelbes Taxi zu. Der Fahrer stand neben der Tür, trug eine Uniform mit Messingknöpfen und glänzende Stiefel. Galant öffnete er den Wagenschlag für Lily und klopfte noch schnell die Polster aus.
    Also, das ist ja ein ganz anderes Taxifahren als im modernen New York , dachte Michele und kletterte, für den Fahrer unsichtbar, kichernd hinter Lily in den Wagen.
    Als sie in dem altmodischen Fahrzeug weiter in den Norden der Stadt fuhren, presste Michele die Nase an die Scheibe. Die Häuser, Geschäfte, Hotels und Restaurants in der Upper East Side glitten an ihr vorbei und wurden dann von den vielen Kirchen, Wohngebäuden aus braunem Sandstein und den Spelunken von Harlem abgelöst. Es dauerte nicht lange, bis von allen Seiten Jazzmusik und die Geräusche des Nachtlebens zu hö ren waren und sie vor dem Cotton Club, einem Gebäude im Kolonialstil, vorfuhren. Lily bezahlte den Fahrer und trug ihm auf, sie in drei Stunden wieder abzuholen. Dann nahm sie Micheles Hand, und sie sprangen aus dem Taxi. Aus dem Lokal drang verlockendes Klavierspiel sowie der seltsam vertraute Klang einer Jazztrompete. Als sie sich in die Schlange vor dem Eingang einreihten, wurde Michele nervös: Alle sahen so viel älter aus als sie und Lily. Wie sollten sie nur da reinkommen?
    »Lily, das hier ist mir alles sehr fremd …«
    »Wir können gleich nach dem Wettbewerb wieder gehen«, versicherte Lily. »Wir sind jetzt so weit gekommen, da können wir nicht aufgeben.«
    Als sie schließlich an der Reihe waren, musterte der Türsteher Lily misstrauisch, als könnte er durch ihre dicke Make-up-Schicht hindurchschauen. »Was tust du hier ganz allein? Du bist noch zu jung. Mach, dass du nach Hause kommst.«
    »Nein«, beharrte Lily verzweifelt. »Ich schwöre, ich bin alt genug.« Doch ihre Stimme klang so kindlich, dass Michele zusammenzuckte.
    »Ausweis, bitte«, befahl der Türsteher.
    »O Gott, den habe ich zu Hause gelassen«, rief Lily, etwas zu hektisch.
    Der Türsteher gab einem Polizisten ein Zeichen, und Michele und Lily blickten sich entsetzt an. Es war alles vorbei. Lily würde nicht im Cotton Club singen. Sie würde von dem Polizisten nach Hause gebracht werden, und all das war Micheles Schuld.
    »Das Mädchen gehört zu mir.«
    Lily zuckte zusammen, als eine Hand sie fest an der Schulter packte. Sie wandte sich um und blickte in die Augen eines untersetzten, Zigarre rauchenden Fremden. Seine Rauheit war auf gewisse Art attraktiv, er war unrasiert, hatte schläfrige dunkle Augen und trug einen dreiteiligen Wollanzug mit einem Homburger Hut. Er bedachte Lily mit einem kurzen, beruhigenden Lächeln.
    »Oh, Sir, ich habe gar nicht gesehen, dass … alles in Ordnung. Bitte, Miss, verzeihen Sie die Unannehmlichkeiten.« Erstaunt musterten Lily und Michele den Türsteher, dessen Ton sich schnell von barsch in freundlich verwandelt hatte.
    Wortlos drängte Lilys Retter sie ins Lokal. Michele folgte ihnen. Sie waren umgeben von Rauch, Jazztrompeten, rauen Stimmen und tanzenden Füßen. Trotz der Prohibition floss der Alkohol in Strömen. Erstaunt stellte Michele fest, dass fast alle Musiker auf der Bühne Afroamerikaner waren, die Zuschauer jedoch alle Weiße. Seit 1910 hatten die Amerikaner zwar die Musik der Schwarzen schätzen gelernt, doch in den 1920ern wurden die Afroamerikaner immer noch als Bürger zweiter Klasse behandelt, denen es nicht erlaubt war, selbst die Lokale zu besuchen, in denen sie auftraten.
    Der Mann führte sie zu einer Nische direkt neben der Band. Als Michele auf die Bühne blickte, fiel sie aus allen Wolken: Unter den Bandmitgliedern entdeckte sie den jungen

Weitere Kostenlose Bücher