Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition)
Art, das zu sagen – sie will mich umbringen.«
Philip erbleichte. »Was?«
Michele erzählte ihm die Geschichte von Rebecca und ihrem Vater und dem Kummer, der ihre Familie seitdem geplagt hatte. Als sie geendet hatte, verblüffte Philip sie mit seiner Reaktion.
»Ich glaube, ich bin derjenige, der Rebecca aufhalten soll.«
»Du?«
In Philips Augen trat jener entrückte, tranceartige Ausdruck, der Michele immer dann an ihm auffiel, wenn ihm eine Erinnerung an sein früheres Leben bewusst wurde.
»Seit ich ein kleiner Junge war, hatte ich diesen immer wiederkehrenden Albtraum – ihre unheimliche Stimme in meinem Ohr, die mir sagte, dass es da ein Mädchen gäbe, von dem ich mich fernhalten müsse. Als ich dann nach New York zog, war sie nicht mehr nur eine Stimme. Sie begann mich zu verfolgen, mich nachdrücklich heimzusuchen – und jetzt konnte ich sie auch sehen.« Ein Schauer überlief ihn. »Ich glaube, sie weiß, dass ich derjenige bin, der ihr etwas anhaben kann. Oder vielleicht hat der … der andere Philip etwas getan. Und deshalb will sie nicht, dass ich dich finde und mich erinnere.«
»Ich kann nicht zulassen, dass du in diese Sache mit hin eingezogen wirst«, beharrte Michele. »Wenn dir etwas zustößt, werde ich mir das nie verzeihen.«
»Dafür ist es viel zu spät«, sagte Philip sanft. »Ich stecke in dieser Sache schon mittendrin, und wenn ich dich irgendwie beschützen kann, dann will ich das auch. Wir dürfen Rebecca nicht gewinnen lassen.«
Michele atmete tief durch. Sie fand keine Worte für eine Antwort, aber ein Blick in seine Augen verriet ihr, dass er sie trotzdem verstand.
Der SMS -Ton ihres Handys riss Michele aus diesem Augenblick. Sie sah auf das Display und las die Nachricht von Annaleigh: Tut mir so leid, euch zu stören! Aber deine Großeltern sagen, es wird spät. Sie machen sich Sorgen und möchten, dass du zurückkommst.
»Ich sollte nach Hause gehen«, sagte Michele widerwillig.
»Okay. Ich begleite dich.«
Philips enttäuschter Gesichtsausdruck weckte einen Freudenfunken in Michele. Er möchte mehr Zeit mit mir verbringen!, dachte sie glücklich.
Als sie das Windsor Mansion erreicht hatten, entstand eine gespannte Pause, bevor sie sich verabschiedeten. Dann küsste Philip sie behutsam auf die Wange. »Bis morgen.«
»Gute Nacht«, rief sie. Ihre Wange kribbelte von seinem Kuss. Nachdem Philip gegangen war, stand sie noch einige Minuten in der Grand Hall und verspürte den albernen Drang, einen Freudentanz aufzuführen.
Sechster Tag
Michele Windsor saß auf einem wackeligen Schaukelstuhl im Salon eines aus Sandstein erbauten Stadthauses. Auf ihrem Schoß lag ein dünner Roman, doch sie achtete nicht auf die Worte, die auf den Seiten warteten. Sie sah aus dem Fenster des spärlich eingerichteten Zimmers und seufzte schwer, als ihr Blick auf den Gramercy Park fiel; er wirkte wie ein Zwilling des Parks, den sie in ihrer Jugend gekannt hatte – in einer anderen Zeit. Er sah ähnlich aus, hatte aber einen anderen Charakter; die Büsche und Sträucher wirkten saftiger, neuer. Dass Michele diesen Park anstarrte, war nur ein weiteres Zeichen dafür, dass sie nicht hierhergehörte.
Sie betrachtete die Szene unter ihrem Fenster: Grobschlächtige Frauen boten vor den Toren Blumen und Obst feil, während die Damen der oberen Mittelschicht auf makellos sauberen Bänken saßen und gesellig miteinander plauderten. Herren, die Zylinder und Gehröcke trugen, spazierten mit Zigarren im Mundwinkel über den Rasen und unterhielten sich, wobei ihr ernsthafter Gesichtsausdruck vermuten ließ, dass es sich um geschäftliche Gespräche handelte. Spielende Kinder liefen schrei end über das Gras, während abgehetzte Kindermädchen hinter ihnen hereilten.
Jeden Tag betrachtete Michele den Park und wartete; wie betäubt saß sie ihre Zeit ab, bis ihre Gefangenschaft im Jahr 1904 vorüberging. Sie wusste nicht mehr, wie lange sie hier schon festsaß, in diesem Fegefeuer, ohne mit ihrem Vater oder Philip in Kontakt treten zu können – oder mit irgendjemandem sonst, den sie kannte.
Ihre Kopfhaut schmerzte – zu gern wollte sie die eng geschlungenen Locken lösen, die sich auf ihrem Kopf türmten. Aber sie konnte sich gerade noch rechtzeitig bremsen und ließ die Hand wieder sinken. Es wäre noch viel lästiger, diese aufwendige Frisur später neu hochstecken zu müssen. Sie machte sich an dem hohen Kragen ihres Gesellschaftskleids zu schaffen, unter dem ihr Hals ständig juckte,
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