Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition)
andere reiht. Ein riesiger neuer öffentlicher Platz, genannt Rockefeller Center, ziert Midtown Manhattan, und als ich die Fifth Avenue weiter hinauflaufe, stelle ich fest, dass fast jeder Häuserblock über ein eigenes Luxushotel verfügt; die Vordächer verkünden so eindrucksvolle Namen wie St. Regis oder The Peninsula.
Als ich in die Central Park South einbiege, treten mir Tränen in die Augen. Dort, direkt vor mir, liegt er – der Park, in dem ich einige der glücklichsten Momente meiner Kindheit erlebt habe. Endlich habe ich in dieser fremden Stadt einen überlebenden Freund gefunden. Und hier sind auch endlich die Pferde. Lächelnd betrachte ich die Stuten, die in einer Reihe vor einem eleganten Hotel namens Plaza stehen. Wenn ich die Augen fest genug zusammenkneife, kann ich die Autos und Gebäude ignorieren, und ebenso all die modernen Menschen. Wenn ich mich auf den Central Park und die Pferde konzentriere, sieht es aus, als wäre ich in meiner eigenen Zeit.
Mein Blick bleibt an einem vertrauten Marmorgebäude hängen, das hinter dem Plaza im Sonnenlicht funkelt. Plötzlich wird mein Hals trocken. Ich will nicht näher herangehen, und doch kann ich nichts dagegen tun. Ich laufe, renne die Fifty-Ninth Street hinauf, bis ich schließlich auf das W starre, das in die schmiedeeisernen Tore eingelassen ist.
So viele Häuser sind mit der Zeit verschwunden, die meisten Relikte des alten New Yorks fehlen in dieser neuen Welt, aber Windsor Mansion steht noch immer. Neben den neueren, dezenteren Gebäuden in seiner Nachbarschaft sieht der weiße Marmorpalast aus wie eine Grande Dame.
Regungslos stehe ich vor dem Eingang, und während ich zu dem Anwesen hinaufstarre, vermischen sich in mir Nostalgie und Abscheu. Dies ist der Ort, an dem ich hintergangen wurde, betrogen von der falschesten aller Freundinnen. Als mir klar wird, dass auch in diesem Jahrhundert noch etwas von Rebecca Windsor existiert, läuft es mir kalt den Rücken hinunter, und als der Wind in den Bäumen murmelt, glaube ich ihr hochmütiges Lachen zu hören.
Dann sehe ich Ruperts freundliches Gesicht vor mir, und plötzlich durchzuckt mich ein Gefühl der Einsamkeit – ich vermisse meinen Freund und all die anderen, die in Windsor Mansion gearbeitet haben. Sie waren meine Familie. Auch wenn der Anblick des Hauses meinen Hass auf Rebecca wieder wachruft, ist es doch auf seltsame Art tröstlich, diesen Ort zu betrachten, der einmal mein Zuhause war. Ich fühle mich dadurch weniger fremd in dieser neuen Stadt, als würde 1888 mir zurufen: »Ich bin noch da.«
Plötzlich bleibt mein Blick an einer Person hängen, die auf den Balkon vor Rebeccas Zimmer tritt. Ich halte den Atem an, fast erwarte ich, meine alte Feindin zu sehen. Aber das Mädchen, das sich über die Brüstung lehnt und strahlend lächelnd in ein schnurloses Telefon spricht, ist das genaue Gegenteil von Rebecca. Ihr kastanienbraunes Haar glänzt in der Sonne, und ihr ansteckendes Lächeln berührt etwas tief in mir.
Sie ist das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe. Und in diesem Moment fällt mir meine Zukunftsvision im Geheimgang des Windsor Mansion wieder ein. Sie muss das Mädchen sein, auf das ich warte, das Mädchen, das eine freudige Aufregung in mir geweckt hat, wie ich sie nie zuvor empfunden hatte.
Mein Verstand versucht mir in Erinnerung zu rufen, dass es sinnlos ist, weil ich Verträge mit der Zeitgesellschaft unterzeichnet habe. Ich habe versprochen, mich an die Regeln zu halten und nie so lange in der Vergangenheit oder der Zukunft zu bleiben, dass ich sichtbar werde. Aber es ist zu spät. Die Wahrheit, die ich nun erkenne, kann ich nicht verleugnen: Es ist mir bestimmt , in dieser Zeit zu bleiben und mit dem Mädchen auf dem Balkon zusammen zu sein.
Schließlich habe ich bereits gesehen, dass es passieren würde.
13. Februar 1991
»Entschuldigung? Wie komme ich zum Columbus Circle?«
Ich lese weiter in meinem Stephen-King-Roman, während ich auf einer Bank im Central Park sitze, und ignoriere die Stimme in meinem Ohr. Ich weiß, dass die Frau unmöglich mich meinen kann.
»Entschuldigung?«, beharrt die Stimme.
Langsam hebe ich den Blick. Die Dame – eine nervöse Touristin, die ein Baby und zwei Einkaufstüten jongliert – sieht eindeutig mich an. Für einen Augenblick bin ich sprachlos.
Es ist endlich passiert. Genau wie in der Warnung im Handbuch der Zeitgesellschaft. Nach sieben Tagen in einer anderen Zeit bin ich sichtbar geworden! Jetzt ist meine
Weitere Kostenlose Bücher