Timm Thaler
recht, an wen er sich
wenden sollte. Er irrte weiter und trat auf dem Mitteldeck durch eine offene Tür schließlich in eine Art Aufenthaltsraum ein, in dessen Mitte eine teppichbelegte Treppe mit geschwungenem,
lackglänzendem Geländer nach unten in den Bauch des Schiffes
führte. Der Geruch gebratener Fische stieg von dort herauf, und
Timm vermutete, daß hier in der Tiefe wohl sein künftiger
Arbeitsplatz sei.
Am Fuß der Treppe lag gleich zur Rechten die Kombüse, aus der
die Speisegerüche drangen. Geradeaus hinter einer geöffneten
Flügeltür war der geräumige Speisesalon mit den Tischen und
Stühlen, die am Boden festgeschraubt waren.
Ein Mann in einer weißen Jacke deckte gerade die Tische. Seine
Gestalt und der Rundkopf mit dem krausen braunen Haar kamen
Timm bekannt vor, ohne daß er zu sagen wußte, wer dieser Mann
war.
Als der Junge in den Salon eintrat, drehte der Mann in der weißen Jacke sich um und sagte ohne jede Überraschung: „Da bist du ja!“
Timm aber war überrascht. Diesen Mann kannte er. Sogar den
Namen wußte er merkwürdigerweise noch. Er hieß Kreschimir. Es
war der Mann, der ihm auf dem Rennplatz so peinliche Fragen
gestellt, dann aber hinzugefügt hatte: „Vielleicht kann ich dir einmal helfen!“ Es war der Mann, dessen stechende wasserblaue Augen an
Lefuet erinnerten, an den Baron, den Timm suchte.
Herr Kreschimir ließ Timm nicht zum Nachdenken kommen. Er
führte den Jungen in ihre gemeinsame Kabine, wo er Timms Seesack
aufs Bett warf und ihm dann eine karierte Hose und eine weiße Jacke gab, wie er selbst sie trug.
Die neue Kluft stand dem Jungen nicht übel. „Du siehst aus wie
der geborene Steward!“ lachte Kreschimir. Aber als er Timms
ernstes Gesicht sah, verstummte sein Lachen. Nachdenklich
betrachtete er den Jungen und murmelte mehr für sich als für Timm:
„Ich wüßte gern, was ihr für einen Handel miteinander habt.“ Dann aber, als wolle er einen unangenehmen Gedanken verscheuchen,
streckte er sich, zupfte seine weiße Jacke zurecht und sagte barsch:
„An die Arbeit! Geh zu Enrico in die Kombüse und hilf ihm
Kartoffeln schälen. Ich hole dich, wenn ich dich brauche. Ab durch die Mitte!“
Bis zum Abend mußte Timm in der Kombüse Kartoffeln schälen.
Enrico, der Koch, war ein alter Kauz aus Genua, der ebenso wie der Kapitän fünf gerade sein ließ. In der engen Welt eines Schiffes ist der Kapitän nicht nur Herr und Gebieter, sondern auch Maßstab und Richtschnur für alles und jedes. Ist der Kapitän streng und eifrig, so ist es auch die Mannschaft. Ist er lässig wie hier auf dem Dampfer
„Delphin“, so ist jedermann lässig bis hinab zu Enrico, dem Koch.
Dieser Enrico erzählte dem Jungen fast ohne Atempause ulkige
Geschichten in einem Kauderwelsch aus Deutsch und Italienisch.
Weil er Timm nie lachen sah, glaubte er, der Junge verstehe ihn
nicht. Aber seine Geschichten erzählte er trotzdem zu seiner eigenen Belustigung. Daß Timm die Kartoffeln viel zu dick schälte, bemerkte der Koch nicht einmal.
Als der Dampfer am späten Nachmittag endlich den Hamburger
Hafen verließ, mußte Timm Herrn Kreschimir im Salon zur Hand
gehen. Dabei wurde er verwirrt, weil die wasserblauen Augen des
Stewards immer wieder forschend auf ihm ruhten. Vor lauter
Beklemmung verwechselte Timm einige Aufträge. Einer
Amerikanerin brachte er statt eines Whiskys einen Zitronensaft, und einem schottischen Lord stellte er statt Schinken mit Ei zwei Stück Nußtorte auf den Tisch.
Herr Kreschimir brachte die Verwechslungen ohne ein böses
Wort wieder in Ordnung. Und ganz nebenbei führte er Timm in
seinen neuen Beruf ein: „Serviere von links! Linke Hand auf dem
Rücken, wenn du mit der Rechten bedienst. Gabel links, Messer
rechts, mit der Schneide zum Teller!“
Nach dem Abendessen wurde Timm wieder in die Kombüse
geschickt, um dem Koch abwaschen zu helfen. Er war dabei
zerstreut und fahrig; denn in seinem Kopf tauchten hundert Wiesos auf: Wieso hatte der Baron das Zugabteil nicht benutzt, in dem
Timm mit Herrn Rickert nach Hamburg gefahren war? Wieso war
Herr Kreschimir plötzlich Steward auf diesem Dampfer, auf dem
Timm Moses geworden war? Wieso hatte Herr Rickert ihn gerade
auf dieses Schiff gebracht? Wieso? Wieso? Wieso?
In Timms Gedanken hinein ertönte ein gesprochenes Wieso. Eine
Männerstimme fragte: „Wieso sind Sie auf diesem Schiff?“ Jemand
anders antwortete: „Wieso sollte ich nicht hier sein?“ Es war die
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