Timm Thaler
tuschelten und flüsterten miteinander und
warteten ungeduldig darauf, daß das richtige Spiel endlich anfinge.
Vorn in der zweiten Reihe saßen drei Leute still auf ihren Plätzen und dachten über ganz verschiedene Dinge nach. Die alte Frau
Rickert ärgerte sich darüber, daß sie mit dem Vagabunden einer
Meinung war. Sie hielt nichts von Vagabunden (obwohl sie sehr viel Geld an Bettler verschenkte). Sie hätte lieber dem König recht
gegeben, weil er so ernst und so schön war.
Herr Rickert, der an ihrer rechten Seite saß, versuchte, in dem
schwachen Dämmerlicht Timms Gesicht zu erkennen. Aber nur ein
kleiner dünner Lichtstrahl traf die Stirn des Jungen, die bleich wie das Gesicht des Königs war. Herr Rickert fürchtete, daß der Einfall seiner Mutter, die Marionettenbühne zu besuchen, nicht sehr
glücklich war; denn tags zuvor hatte er Timm weinen sehen.
Timm hatte nur einen Gedanken: Wenn jetzt nur niemand mit mir
spricht! Es würgte ihn im Halse, als müsse er ersticken. Und immer wieder wie ein Kehrreim kehrten die letzten Zeilen des Vorspiels in seinem Gedächtnis wieder: „Das Lachen unterscheidet Mensch und
Tier. Und man erkennt den Menschen stets daran, daß er zur rechten Stunde lachen kann… lachen kann… lachen…“
Da ging der Vorhang wieder auf, und eine sehr blasse, sehr ernste Prinzessin, die aus einem Schloßfenster heraussah, zog die Augen
und nach und nach auch die Gedanken Timms auf sich.
Im Schloßgarten unter dem Fenster erschien jetzt der königliche
Vater der Prinzessin. Als seine Tochter ihn sah, zog sie sich rasch und leise vom Fenster zurück.
Seine Majestät, der König, ließ sich auf dem Rand eines
Springbrunnens nieder und klagte dem Wasser und den Blumen sein
Leid: daß er alle denkbaren Spaße und Spaßmacher bemüht habe, um
seine Tochter zum Lachen zu bringen, aber leider, leider ohne
Erfolg.
Seufzend erhob der König sich wieder, und die Kinder im Saal
waren jetzt mucksmäuschenstill.
Seine Majestät wanderte im Schloßgarten auf und ab, jammerte
über sich und über seine Tochter und blieb plötzlich stehen und rief:
„Wenn doch jemand sie zum Lachen brächte! Ich gäbe ihm auf der
Stelle die Prinzessin zur Frau und das halbe Königreich dazu!“
In diesem Augenblick bog der Vagabund mit dem fremden
traurigen König gerade in den Schloßgarten ein. Er hatte den
verzweifelten Ausruf des königlichen Vaters gehört und rief ohne
Umschweife: „Majestät, ich nehme Euch beim Wort! Wenn ich die
Prinzessin zum Lachen bringe, bekomme ich sie zur Frau! Das halbe Königreich könnt ihr behalten; denn dieser Herr, der mich begleitet, wird mir sein ganzes geben.“
Der König sah die beiden Wanderer, die ihm unfreiwillig
zugehört hatten, verwundert an. Der blasse fremde König gefiel ihm besser als der rotwangige gesunde Vagabund. (Könige haben in
solchen Dingen einen eigenen Geschmack.) Trotzdem hielt er sich an sein Wort und sagte: „Wenn es dir gelingt, Fremder, die Prinzessin zum Lachen zu bringen, wirst du ein Prinz und ihr Gemahl!“
Das genügte dem Vagabunden. Er sprang davon und ließ die
beiden Könige allein unter sich zurück.
Dann fiel der Vorhang, und eine kurze Pause trat ein. Für die
kleinen Zuschauer wurde es jetzt spannend. Würde die Prinzessin
lachen?
Timm Thaler hoffte insgeheim, daß sie ernst bleiben würde. Sie
war ihm unter dem kurzen Spiel zu einer Schwester geworden, mit
der er Hand in Hand einer lachenden Welt hätte Trotz bieten mögen.
Aber Timm wußte zu gut, wie die meisten Märchen enden. Er
wartete mit Beklemmung auf den Augenblick, da die Prinzessin
lachen würde.
Und leider brauchte Timm nicht lange zu warten. Als der
Vorhang aufging, lehnte die Prinzessin wieder am Fenster, und die beiden Könige saßen auf dem Springbrunnenrand. Hinter der Bühne
war Gesang und Gelächter zu hören, und plötzlich bog der Vagabund in den Schloßgarten ein. Er führte an einem goldenen Halsband
einen Schwan mit sich. Ein dicker Mann hielt die rechte Hand an
eine Schwanzfeder des Schwans, als sei sie daran festgeklebt. Mit der linken Hand zog er ein dünnes Männlein hinter sich her, und das zog wiederum eine alte Frau mit sich und die Frau einen Buben und der Bub ein Mädchen und das Mädchen einen Hund. Und alle
schienen wie von Zaubergewalt aneinandergekettet zu sein. Auch
sprangen und hüpften sie, wie von unsichtbaren Federn bewegt, auf und ab und hin und her. Und sie lachten, daß der Schloßgarten
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