Timm Thaler
Stimme Kreschimirs.
„Kommen Sie mit an Deck!“ befahl die erste Stimme.
Timm hörte das Poltern von Schritten auf der kleinen eisernen
Leiter, die aufs Achterdeck führte. Dann verloren sich die Schritte und Stimmen. Aber in Timms Gedächtnis rumorten sie weiter. Er
vermeinte die Stimme zu kennen, die mit Kreschimir gesprochen
hatte. Und plötzlich – er trocknete gerade eine Suppenterrine ab –
plötzlich wußte er, wem die Stimme gehörte.
Es war die Stimme des Mannes, dem er sein Lachen verkauft
hatte, es war die Stimme des Barons.
Die Suppenterrine entglitt seinen Händen und zerklirrte auf dem
Boden der Kombüse; Enrico, der Koch, sprang mit einem
erschrockenen „mamma mia“ zur Seite; dann stürzte Timm den
Stimmen nach zum Achterdeck.
Oben war niemand zu sehen. Zwei Schiffslaternen beleuchteten
matt die Deckaufbauten und das segelüberspannte Beiboot. Aber
plötzlich hörte Timm leise Stimmen, und als er nach links schaute –
denn von dorther kamen die Stimmen – konnte er undeutlich
erkennen, daß sich unterhalb des Beibootes etwas bewegte. Auf
Zehenspitzen schlich der Junge näher und sah nun unter dem Beiboot vier Beine in Männerhosen. Genaueres konnte er nicht feststellen.
Aber er war sicher, daß die Stimmen von den beiden Männern hinter dem Boot herkamen. So ging er Schritt für Schritt und mit
angehaltenem Atem näher an das Beiboot heran. Einmal knirschte
eine Deckplanke. Aber die beiden hinter dem Boot schienen nichts
bemerkt zu haben.
Endlich war Timm nahe genug, um die halblaute Unterhaltung
belauschen zu können.
„… ist ja lächerlich!“ zischte die Stimme des Barons. „Sie wollen mir doch nicht weismachen, daß Sie das Geld, das Ihnen die Aktien einbrachten, schon ausgegeben haben!“
„Kurz, nachdem Sie mir die Aktien ausgehändigt haben, sind sie
rapide gefallen“, bemerkte Kreschimir ruhig.
„Zugegeben!“ Der Baron ließ das gekaufte Lachen ertönen. „Die
Aktien sind gefallen, weil ich einigen Einfluß auf die Börse habe, aber eine Viertelmillion dürfte Ihnen trotz allem geblieben sein.“
„Und diese Viertelmillion brachte ich zu einer Bank, die kurz
darauf pleite machte, Baron.“
„Ihr Pech!“ Wieder lachte Lefuet, und den Lauscher Timm
durchfuhr es bei diesem Gelächter. Er wäre am liebsten
vorgesprungen.
Aber er war klug genug zu wissen, daß Zuhören und Abwarten
gescheiter war.
„Selbst wenn Sie wieder arbeiten müssen“, sagte der Baron jetzt,
„selbst dann besteht kein Grund, ausgerechnet auf diesem Schiff und mit diesem Jungen zusammen zu arbeiten.“
Diesmal lachte Kreschimir. „Niemand kann es mir verbieten!“
rief er.
„Reden Sie leiser!“ zischte Lefuet.
Halblaut fuhr Kreschimir fort: „Ich habe Ihnen meine Augen
verkauft und Ihre Fischaugen dafür eingetauscht. Als Preis erhielt ich von Ihnen Aktien im Werte von einer Million, von der nicht eine
einzige Mark in meine Tasche geflossen ist. Sie waren schlauer als ich. Aber diesmal werde ich schlauer sein, Baron. Ich habe Sie
zweimal mit dem Jungen zusammen auf dem Rennplatz beobachtet.
Ich habe festgestellt, daß der Junge nachher jede Rennwette gewann, und ich habe weiter festgestellt, daß der Kleine trübsinnig und
vergrämt geworden ist wie ein kranker, einsamer, alter Pensionär.“
Dem Jungen schlug, als er Kreschimir reden hörte, das Herz bis
zum Halse. Aber er hielt sich eisern still.
Kreschimir fuhr fort: „Ich werde herausbringen, welcher Art Ihr
Geschäft mit dem Jungen ist, Baron! Ich beobachte den Kleinen seit vier Jahren, und es hat mich einige Mühe gekostet, Steward auf
diesem Dampfer zu werden, aber jetzt…“
Die Stimme des Barons unterbrach Kreschimir: „Jetzt biete ich
Ihnen abermals eine Million. In bar und auf die Hand!“
„Diesmal, Baron, ist der Vorteil bei mir!“ Kreschimir sprach sehr überlegt. „Ich kann mir mein Wissen auf dreierlei Art bezahlen
lassen: entweder meine Augen zurückfordern oder die Million
annehmen oder – was vielleicht nicht das Schlechteste wäre – Sie
zwingen, den Jungen aus dem Vertrag zu entlassen, welcher Art
dieser Vertrag auch immer sein mag.“
Timm preßte in der Dunkelheit eine Faust in den Mund, um sich
durch sein Stöhnen nicht zu verraten.
Es war eine Weile still. Dann ertönte wieder die Stimme des
Barons: „Mein Geschäft mit dem Jungen geht Sie nichts an. Aber
wenn Ihnen an Ihren alten Augen liegt, dann wäre ich unter
Umständen bereit…“
Kreschimir
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