Timm Thaler
gegenüber. Hier!“ Er klaubte die Geldscheine heraus, die er in der Tasche hatte, und gab sie seinem Stiefbruder.
Erwin betrachtete die Scheine und fragte: „Was soll dieser kleine Zettel?“
„Ach, den brauch’ ich noch!“ Fast hätte Timm es geschrien. Aber
es wurde zum Glück ein Flüstern daraus.
Der Zettel wanderte in die Tasche zurück, und Erwin ging. „Ich
halte die Klappe!“ flüsterte er zurück.
Timm nickte und drückte hinter dem Stiefbruder und einer
abgelegten Vergangenheit die Tür ins Schloß.
Dreißigster Bogen
Papiere
Es ist erstaunlich, wie rasch reiche und einflußreiche Leute
Formalitäten erledigen können, für die ein sogenannter kleiner Mann oft Monate benötigt. Auch die Bürokratie ist von der Wolkenhöhe
der Gesellschaft aus leicht zu handhaben.
Ein einziges Büro der Baron-Lefuet-Gesellschaft, ein Teil der
sogenannten Rechtsabteilung, erledigte am nächsten Tage folgende
Angelegenheiten für Timm und den Baron:
Das Strandbad von Jamaica wurde Frau Thaler und ihrem Sohn
Erwin zu gleichen Teilen überschrieben. (Timm sah die beiden auf
diese Weise noch einmal, aber nur kurz. Erwin flüsterte ihm zu, daß die Lupe unter der Bank liege.)
Die Reederei Hamburg-Helgoland-Gästedienst, genannt HHD,
ging mit Wirkung vom selben Tage in den Besitz Timm Thalers
über. (Der bisherige Besitzer, der alte Herr Denker, drückte Timm nach der Unterzeichnung warm die Hand und sagte „toi, toi, toi“,
während er ihm dreimal über die linke Schulter spuckte.)
Das Aktienpaket der Hamburger Reederei, das Timm kurz vorher
erst von Mister Penny in London übernommen hatte, wechselte –
ebenfalls mit Wirkung vom selben Tage – in den Besitz des Barons
über. (Die Sperrfrist von einem Jahr fiel fort, weil Lefuet Besitzer von Stimm-Aktien war.)
Als letzter Vertrag sollte endlich auch der Erbschaftsvertrag
ausgestellt werden, den Lefuet bisher mit Erfolg hatte hinauszögern können und nach dem Timm nie gefragt hatte.
Warum der Baron jetzt plötzlich zu diesem Vertrag bereit war,
wußte der Junge nicht; aber es kümmerte ihn auch wenig. Die großen Geschäfte waren ihm gleichgültig geworden wie die großen
Reichtümer. Das einzige für ihn wichtige Geschäft war der Handel
um sein Lachen. Er ahnte, daß der winzige Zettel in seiner Tasche (den er während der Nacht unter dem Kopfkissen verborgen hatte)
der Schlüssel zu seinem versperrten Lachen war; und deshalb
drängte es den Jungen, die Lupe unter der Bank hervorzuholen. Die Erschöpfung, die Timm nach all den Umständlichkeiten dreier
Vertragsabschlüsse fühlte, übertrieb er absichtlich, indem er sich ständig an die Stirn faßte.
„Wenn Sie Kopfschmerzen haben, verschieben wir den
Erbschaftsvertrag auf morgen“, sagte der Baron darauf. „Recht so, Herr Thaler?“
Timm sagte nicht sofort ja. Dazu war er zu klug. Er erklärte
vielmehr, daß es besser wäre, den Vertrag sogleich abzuschließen, daß er aber leider ganz schreckliche Kopfschmerzen habe; und wenn man Verträge mit klarem Kopf unterzeichnen müsse, dann sei es
vielleicht tatsächlich besser, lieber bis morgen zu warten.
Diese List hatte den gewünschten Erfolg. Die Lesung und
Unterzeichnung wurde auf den nächsten Tag verschoben, und Timm
konnte obendrein (nachdem er folgsam zwei Tabletten geschluckt
hatte) an der Alster vor dem Hotel Spazierengehen. („Frische Luft wirkt Wunder“, hatte einer der Rechtsanwälte zu ihm gesagt.)
Da Timm wußte, daß irgendwo in seiner Nähe ein Detektiv auf
ihn achtgab, holte er die Lupe nicht sofort und auffällig unter der roten Bank hervor. Er kaufte sich vielmehr zunächst eine Zeitung, und damit setzte er sich auf die Bank. (Wo die Lupe lag, hatte er bereits entdeckt.)
Beim Lesen hielt er die Zeitung so, daß der Innenteil
herausrutschte und über eines seiner Knie unter die Bank flatterte.
Nun bückte sich der Junge und hob zusammen mit den
Zeitungsblättern die Lupe auf. Hinter der Zeitung versteckt, ließ er sie in eine Brusttasche seiner Anzugjacke gleiten. (Timm trug jetzt meistens Anzüge aus grauem Flanell oder mit winzig kleinen Karos.) Eine Viertelstunde später faltete der Junge die Zeitung zusammen, ließ sie für irgendeinen Vorübergehenden auf der Bank liegen und
ging ins Hotel. Als er beim Empfang seinen Schlüssel holte, gab der Portier ihm ein zusammengefaltetes Papier. Es war eine kurze
Nachricht des Barons:
„Sollten Sie sich wohler fühlen, kommen Sie doch, bitte, in
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