Timm Thaler
Junge langsam auf dieses Auto zuging, erkannte er Jonny
– ebenfalls verkleidet.
Die Turmuhr hatte ausgeschlagen. Es war Mitternacht, „die
schwarze Stunde der Straßenbahnen“. Timm öffnete den Schlag und
setzte sich neben den Steuermann.
Jonny sagte: „Entschuldigen Sie, ich bin bestellt. Nehmen Sie das nächste Taxi!“ Dabei sah er seinen Fahrgast nicht an, sondern ließ seine Augen suchend über den Markt wandern.
„Besuche Schwan-Kleb-An. Gewinne, was die Prinzessin
gewann“, erwiderte Timm halblaut.
Jetzt fuhr Jonnys Kopf zur Seite: „Menschenskind, Timm, wie
siehst du denn aus?“
„Mein Zimmermädchen hat einen Verehrer bei der christlichen
Seefahrt, Jonny!“
„Ist jemand hinter dir her?“
„Ich glaube nicht.“
Das Auto fuhr zwischen einzelnen erleuchteten Schaufenstern
zum Rödingsmarkt hinauf, bog dort scharf rechts ein und nahm
Richtung auf das Hafenviertel.
„Ist dir jemand auf den Fersen, Jonny?“
„Könnte sein, Timm. Seit einer Stunde hab’ ich so ein Gefühl, als würde ich beschattet. Aber es ist nur so ein Gefühl, verstehst du?
Einen bestimmten Wagen oder eine bestimmte Person, die mich
verfolgen, konnte ich bis jetzt nicht ausmachen. Wir werden
Seitenstraßen benutzen.“
Neben dem Steuermann ließ Timms Erregung etwas nach. Er
hatte sich diese Taxifahrt um Mitternacht viel dramatischer
vorgestellt. Obwohl sie jetzt ständig durch geheimnisvolle dunkle Nebenstraßen fuhren, waren dies die ruhigsten Augenblicke eines
Tages voller Hintertreppen.
Jonny fuhr schnell, aber sicher. Manchmal warf er einen Blick in
den Rückspiegel. Aber niemand schien ihnen zu folgen.
Das Auto, das ihnen bald darauf ständig folgte, fuhr ohne Licht.
Mehrere Male setzte Timm zu Fragen über Kreschimir an; aber
Jonny fuhr ihm dazwischen: „Wart’s ab, bis du ihn siehst, Timm! Ich bitte dich darum.“
„Darf ich dich etwas fragen, was nichts mit Kreschimir zu tun hat, Jonny?“
„Was willst du wissen?“ (Sie fuhren jetzt bereits durch Altona.)
„Woher wußtest du, daß der Baron und ich mit dem Flugzeug
kamen?“
Der Steuermann lachte. „Erinnerst du dich an einen Herrn namens
Selek Bei?“
„Na und ob!“
„Der hat Verbindung mit uns aufgenommen und es uns mitgeteilt.
Als euer Flugzeug kam, haben wir alle Taxis am Flugplatz
wegengagiert. Ihr hättet gar kein anderes Taxi nehmen können als
dieses. Gehört meinem Schwager.“
„Aber woher wußtet ihr denn, daß wir ein Taxi nehmen? Wir
fahren normalerweise mit den Wagen der Firma.“
„Selek Bei wußte, daß ihr inkognito kommt, Timm. Nicht einmal
die Firma sollte etwas von eurer Ankunft wissen. Die Idee, dem
Baron deine Stiefmutter auf den Hals zu hetzen, kam auch von Selek Bei. Hat es was genützt?“
„Nein, Jonny. Nichts hat genützt. Und wenn Kreschimir auch
nicht helfen kann, dann…“
„… dann will ich einen Besen fressen, Timm. Samt Stiel und
Borsten. Aber red nicht mehr davon. Wart’s ab!“ (Sie waren jetzt
nicht mehr weit von der Elbchaussee entfernt und Ovelgönne nahe.) Plötzlich lachte Jonny unvermittelt.
„Was hast du denn?“
„Ich muß an dein Geschäft mit dem Baron denken. Als du deine
Aktien gegen eine Reederei getauscht hast. Hab’ natürlich sofort
geschaltet und eine Reederei genannt, von der ich genau wußte, daß sie zu verkaufen ist. Hast du sie tatsächlich bekommen?“
„Ich hab’ den Kaufvertrag in der Tasche, Steuermann.“
„Alle Achtung, Timm! Der HHD ist ein Bombengeschäft! Wenn
du einen Steuermann brauchst…“
Jetzt fuhren sie in die Elbchaussee ein, und Jonny sah im
Rückspiegel das Auto ohne Licht, das ihnen folgte.
Er sagte dem Jungen nichts, erhöhte nur die Geschwindigkeit und
schielte immer wieder in den Rückspiegel.
Timm sagte etwas, aber Jonny hörte nicht hin. Er sah, daß auch
das Auto hinter ihnen die Geschwindigkeit erhöhte und langsam
näher kam.
Die Bremsen quietschten wie Schweine unter dem
Schlachtmesser. Jonnys Rechte bewahrte Timm davor, mit dem Kopf
in die Windschutzscheibe zu stoßen. Das Taxi hatte hart gebremst.
Das verdunkelte Auto schoß an ihnen vorbei. „Raus!“ brüllte Jonny.
Schon hörte man weiter vorn das Aufschreien anderer Bremsen.
Der Steuermann zerrte Timm hinter sich her. Über die Straße,
eine steile, enge Stiege hinunter, in ein Gebüsch zur Rechten, über eine Mauer, in einen Bierkeller, auf der anderen Seite des Bierkellers wieder hinaus, abermals über eine Mauer und eine zweite,
Weitere Kostenlose Bücher